Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat
Kollegen schätzten seinen gutmütigen, wenn auch manchmal burschikosen Charakter, die Krankenschwestern sein offenherziges Wesen, die Patienten seine Fürsorglichkeit. Da sich Bröcher wegen der knappen elterlichen Hilfe seine Berufsausbildung hart erkämpfen musste, besaß er ein natürliches soziales Mitgefühl und behandelte mittellose Patienten umsonst. Er selbst lebte bescheiden und hatte deshalb etwa zehntausend Mark erspart.
Bröcher war noch Junggeselle. Er hatte eine Beziehung zu einer Lehrerin, die er heiraten wollte. Obwohl dieses Verhältnis schon Jahre bestand, beließ es Bröcher beim Eheversprechen. Es war wohl beiderseits keine rechte Liebe vorhanden. Außerdem hatte eine andere Frau begonnen, Bröcher in ihren Bann zu ziehen, und eine Leidenschaft in ihm erweckt, wozu seine Verlobte nicht fähig gewesen war.
Diese Frau, die später von den einen als Lady Macbeth und Messalina, von andern als Madonna bezeichnet wurde (einmal auch als Lady Macbeth mit dem Madonnengesicht), war die 28jährige Emilie Oberreuter. Nun mag in den gegensätzlichen Bildern von dieser Frau kein Widerspruch liegen. Das eine kennzeichnet ihre Rolle in der Tragödie, das andere ihr äußeres Aussehen. Aber selbst über ihr Erscheinungsbild gab es widerstreitende Ansichten. Nannten einige sie unansehnlich und unscheinbar, schwärmten andere von ihrer weiblichen Ausstrahlung. Priesen die einen Männer ihre erotische Anziehungskraft, verachteten andere sie wegen ihrer
schauspielerischen Gefallsucht.
Mit Männern schien sie bisher wenig Glück gehabt zu haben. Ihr Verlobter fiel im Krieg. Ihr erster Mann verstarb bald nach der Heirat. Anfang der 20er Jahre Schloss sie ihre zweite Ehe. Ihr Mann, Bruno Oberreuter, war sechzehn Jahre älter als Emilie. Anfangs sollen sich beide geliebt haben. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass Emilie auch materielle Gründe hatte, den Architekten Oberreuter zu heiraten. Zur Zeit der Eheschließung war er bei der Reichsbahn angestellt und bot seiner Frau als Beamter eine gesicherte Existenz.
Aber dieses sichere Leben zerbrach bald. Mitten in der schweren wirtschaftlichen Nachkriegskrise, während der galoppierenden Inflation, setzte es sich Oberreuter in den Kopf, sich selbständig zu machen. Er gründete ein Bauunternehmen das ihm mehr Verlust als Gewinn brachte.
Emilie litt unter diesen ständigen Sorgen. Mit wachsendem Unmut machte sie ihren Mann dafür verantwortlich. Der verteidigte sich, er habe nur das Beste für seine Frau gewollt. Manchmal hatte er ihren Vorwürfen nichts anderes mehr entgegenzusetzen, als dass er sie schlug. Bei einem dieser wüsten Streits erlitt Emilie einen Herzanfall und musste ins Marienhospital eingeliefert werden.
Und an diesem Sommertag 1925 begann die schicksalhafte Begegnung zwischen Emilie Oberreuter und Dr. Joseph Bröcher, der in dieser Klinik als Assistenzarzt tätig war und Emilies Behandlung übernahm.
Vielleicht war es der Kontrast zwischen der gewittrigen häuslichen Atmosphäre und der wohltuenden Ruhe im Hospital, der Gegensatz zwischen dem cholerischen Ehemann und dem verständnisvollen Arzt, dieser jähe Wechsel der Lebensumstände also, die Emilies Interesse für Bröcher weckte und das sie ihm auch mit ihrem anerkannten Talent zum Flirten deutlich zeigte.
Bröcher reagierte, wie Emilie es erwartet hatte. Diese Frau, die seiner Eitelkeit zu schmeicheln wusste, war anders als seine zurückhaltende Verlobte. Hier fand er Anerkennung, hier ahnte er instinktiv ihm unbekannte Abenteuer.
Was anfangs bei beiden eine noch nur angedeutete Erwartung war, verwirklichte sich bald. Als Emilie die Klinik verließ, hatten die beiden bereits vereinbart, sich wiederzusehen. Wieder daheim, bewog Emilie ihren Mann, diesen so tüchtigen Arzt doch einmal zu sich einzuladen und ihm für seine Hilfe zu danken. Der Bauunternehmer hatte nichts dagegen; bald, als sich die Besuche wiederholten, fand er es angenehm, dass ein Arzt Eingang in sein Haus fand. Und schließlich, als er merkte, wie sich durch die immer öfteren Besuche Bröchers die gespannte Beziehung der Eheleute beruhigte, entwickelte Oberreuter sogar ein freundschaftliches Gefühl für den Arzt. Zu dritt ging man ins Theater oder ins Kino, zu dritt ins Restaurant, zu dritt fuhr man sonntags aus. Und während Oberreuter den Wagen steuerte, merkte er nicht, dass es auf dem Bücksitz zwischen seiner Frau und dem Hausfreund zu intimen Vertraulichkeiten kam. Oder er wollte es einfach nicht bemerken, denn
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