Mörderische Aussichten
nicht anrufen. Sie würde meiner Stimme sofort entnehmen, dass irgendetwas nicht stimmte.
Das ist eine der Fähigkeiten, die eine gute Anwältin ausmachen. Ich versuchte es also mit Fernsehen. Rosie O’Donnell, eine
meiner Lieblingsmoderatorinnen, interviewte gerade Debbie Reynolds, die ich auch ganz besonders mochte. Ich goss mir frischen
Eistee ein und versuchte, mich zurückzulehnen und zu entspannen.
Es war so erfolgreich, wie wenn ich versucht hätte zu fliegen. Ich musste etwas tun. Deshalb war ich, als Haley kam, gerade
dabei, das Haus von oben bis unten zu saugen. Ich sah, wie sie ihr Auto in der Einfahrt abstellte und Woofer streicheln ging,
der noch immer gemütlich in seiner Höhle lag. Ihr rotblondes Haar schimmerte in der späten Augustsonne. Sie war eine so hübsche
Frau. Sie hatte einmal gedacht, dass sie ein langes, glückliches Leben mit ihrem Mann, Tom Buchanan, führen würde, dass sie
Kinder mit ihm haben und von ihm geliebt werden würde. Vor drei Jahren hatte ein betrunkener Fahrer diesem Traum ein Ende
gemacht. Lange Zeit hatten Fred und ich gedacht, wir würden unsere Tochter nie wieder glücklich erleben. Und wir wissen, dass
es die Haley, die wir vor Toms Tod gekannt hatten, nie mehr geben wird. Aber die reizende, selbstsichere Frau, die da durch
unseren Garten gelaufen kam, hatte sich mit ihrem Schicksal arrangiert und ihren Schmerz überwunden. Genau genommen strahlte
sie. Ich öffnete ihr die Tür und umarmte sie.
»Gibt’s was Neues?«, fragte sie.
»Nein. Nichts, was ich dir nicht schon erzählt hätte.« Ich ging voraus ins Wohnzimmer. »Möchtest du eine Cola?«
»Lieber ein Bier.« Haley nahm sich eins aus dem Kühlschrank und folgte mir. Sie deutete auf den Staubsauger mitten auf dem
Boden. »Dein Beruhigungsrezept.«
Ich wickelte die Schnur auf und stellte ihn zurück in den Schrank. »Ja.«
»Erzähl mir, was passiert ist.«
Ich berichtete ihr von den Ereignissen des Tages und zeigte ihr schließlich die Fotos.
»O Gott!«, sagte sie. »Du glaubst, es war dieser Mann?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht.«
»Und Meemaw kannte ihn nicht?«
»Das hat sie jedenfalls gesagt. Und ich habe ihr geglaubt.«
Haley legte die Bilder auf den Couchtisch zurück. »Sie fährt also zwanzig Minuten weg, und als sie wieder nach Hause kommt,
liegt ein ermordeter Mann, den sie noch nie zuvor gesehen hat, in ihrem Wohnwagen, und ihre Enkelin ist verschollen.«
Ich zitterte. »Oder Schlimmeres.«
Das Telefon klingelte. Haley nahm den Hörer ab. »Warte einen Moment, Tante Schwesterherz. Ich frage sie.« Sie drehte sich
zu mir um. »Was gibt’s bei dir zum Abendessen, Mama?«
»Was?«
»Sie will wissen, was es bei dir zum Abendessen gibt.«
»Putensandwiches und Zitronenkuchen. Hat sie mit Ray gesprochen?«
»Putensandwiches und Zitronenkuchen, Tante Schwesterherz. Und hast du mit Ray gesprochen?« Haley hörte einen Moment lang zu.
»Ja, Ma’am. Ich sag’s ihr. Tschüs.«
»Sie schaut gleich hier vorbei. Sie meint, sie sterbe vorHunger, und Tiffany, die patente Putzfee, hat ihr Tomaten aus dem eigenen Garten mitgebracht. Die bringt sie mit für die Sandwiches.
Mit Ray hat sie noch nicht gesprochen, aber sie hat die Anrufumleitung eingestellt.«
»Blut, Tod und Gewalt, und diese Frau will essen?«
»Das ist eben ihre Reaktion auf Stress, Mama.« Haley legte das Telefon auf den Beistelltisch zurück. »Übrigens, Philip und
ich heiraten am Samstag. Eigentlich bin ich gekommen, um dir das zu sagen.«
Bei Penney’s hatten sie auch »Weiße Wochen«. Wir könnten eine weitere leichte Baumwolldecke gebrauchen. Wie wohl ihre Preise
im Vergleich zu denen von Sears waren?
»Was ich nicht verstehe, ist, warum Meemaw nicht diesen Gabriel nach dem Verbleib von Sunshine fragt.« Mary Alice nahm sich
ein zweites Putensandwich und biss hinein. Sie, Haley und ich saßen am Küchentisch und aßen zu Abend. Fred hatte noch einmal
angerufen und gesagt, er käme noch später als ursprünglich geplant. Haley hatte mit ihm gesprochen, aber weder Sunshines Verschwinden
noch ihre Hochzeit am Samstag erwähnt. Eine nette kleine Aufgabe für Mama. Fred würde der Schlag treffen.
»Hast du sie gefragt?«, wollte Haley wissen.
»Ich weiß es nicht mehr. Habe ich das, Patricia Anne?«
Ich zuckte die Schultern. Ich wusste es ganz sicher nicht.
»Ich meine, wozu hat man denn einen Channeler, wenn er nicht so nützliche Dinge tun kann wie Leute finden?«
Weitere Kostenlose Bücher