Mörderische Aussichten
Haleys andere Hand. »Was trägst du denn am Samstag?«
»Mein pfirsichfarbenes Leinenkostüm.«
»Zieh es aber erst auf der Rathaustoilette an, und setz dich nicht damit hin, sonst siehst du auf allen Fotos zerknittert
aus.«
»Wir hatten eigentlich keine Fotos vorgesehen. Aber vielleicht kann ja Papa seine Kamera mitbringen.«
»Du musst doch Hochzeitsfotos haben!« Mary Alicetätschelte Haleys Hand. »Mach dir keine Sorgen. Ich kümmere mich darum.«
Haley blickte auf und wollte etwas sagen, aber Mary Alice kam nun erst richtig in Fahrt.
»Und ich denke, du solltest die Uhrzeit auf zwölf verlegen. Dann kann ich euch ein Mittagessen spendieren, im Tutwiler vielleicht.«
»Zehn Uhr war die einzige Zeit, an der der Richter uns noch einschieben konnte am Samstag.«
»Dann machen wir ein Champagnerfrühstück. Das ist auch hübsch. Und du brauchst eine Hochzeitstorte, eine aus zwei Schichten,
damit du die obere einfrieren kannst.«
Haley drehte sich um und blickte mich an. Ich lächelte unschuldig. Ich lebte schon eine ganze Weile länger mit meiner Schwester
als sie.
»Also«, sagte Schwesterherz, während sie über die Hochzeitspläne grübelte und ihr plötzlich einfiel, dass es da einen Störfaktor
geben könnte, »ich hoffe, dass mit Sunshine alles in Ordnung ist.«
Das tat ich auch. Ich konnte noch hören, wie Meemaw gesagt hatte: »Dieses Mädchen ist mein Ein und Alles. Ist es immer gewesen.«
Ich konnte ihren Schmerz nur erahnen. Er ließ meinen Kummer über die sechsmonatige Trennung von Haley trivial erscheinen.
Nach wie vor mit der Hochzeit beschäftigt, gingen Mary Alice und Haley gegen neun. Sie waren kaum aus dem Haus, als das Telefon
läutete. Wahrscheinlich noch mal Fred. Verdammt, er sollte nicht immer so lange arbeiten. Das Ziel der Zusammenlegung seiner
Firma Metal Fab mit einem großen Unternehmen in Atlanta hatte eigentlich darin bestanden, ihm seine Arbeit zu erleichtern.
Ich nahm den Hörer ab und meldete mich ungeduldig.
»Mrs Crane?«, fragte ein Mann.
»Nein, hier ist Mrs Hollowell, ihre Schwester. Sie hat ihr Telefon auf mich umgestellt, aber jetzt ist sie weg.«
»Nun, Sie können ja die Nachricht entgegennehmen, Mrs Hollowell. Ich bin Eddie Turkett, Sunshines Onkel.«
Meine Knie wurden plötzlich weich, und ich setzte mich aufs Sofa. »Ja, Mr Turkett. Was gibt es denn?«
»Junior Reuse musste die Suche wegen der Dunkelheit abbrechen. Aber er will morgen früh weitermachen und sagte, wir sollten
Freiwillige zusammentrommeln. Ich bin draußen bei meinen Eltern und rufe Leute an. Denken Sie, dass Sie und Mrs Crane uns
vielleicht helfen kommen könnten?«
»Natürlich. Sollen wir noch weitere Leute mitbringen?«
»Wenn Sie können, ja. Der Sheriff will das Gelände zwischen hier und dem Fluss in einzelne Sektoren unterteilen und dann für
jeden Sektor eine Gruppe zusammenstellen.«
»Um wie viel Uhr?«
»Sobald es hell ist und bevor es zu warm wird. Halb fünf?«
»Wir werden da sein.« Ich schwieg einen Moment. »Mr Turkett, wie geht es Ihrer Mutter?«
»Sie hält sich angesichts der Umstände ziemlich gut. Meine Schwester und mein Bruder müssten in Kürze aus Atlanta hier eintreffen,
und sie ist dabei, ihnen einen Rührkuchen zu backen. Ich habe ihr gesagt, sie solle ins Bett gehen, aber sie hört nicht auf
mich. Sie sagt, sie müsse jetzt unbedingt einen Kuchen backen.«
»Lassen Sie sie ruhig herumwursteln, wenn ihr danach ist.«
»Ich habe wohl keine andere Wahl.«
Ganz eindeutig nicht. »Wir sehen uns dann also morgen früh.«
»Okay. Und Mrs Hollowell? Vielleicht sollten Sie Stiefel anziehen, falls Sie welche besitzen.«
»Stiefel?«
»Wegen der Schlangen.«
Oh! Ich sagte, dass ich mit Sicherheit Stiefel tragen würde – wir alle.
Nachdem ich aufgelegt hatte, rief ich Mary Alice an. Sie war noch nicht zu Hause, und mir fiel ihre Handynummer nicht ein.
Mist.
Die Tür ging auf, und Fred kam herein. Er wirkte ziemlich munter für jemanden, der seit sieben Uhr morgens gearbeitet hatte.
»Hallo, Süße«, sagte er mit einem Blick ins Wohnzimmer, wo ich mit dem Telefon in der Hand dasaß. »Was ist los?«
»Möchtest du erst die guten oder erst die schlechten Nachrichten hören?«
»Die guten.«
Mir fielen bloß keine ein.
6
Am nächsten Morgen kamen wir verspätet zum Turkett-Lager. Es war fünf Uhr, und ich hatte dröhnende Kopfschmerzen, als wir
in den Feldweg einbogen, der durch das Dornengestrüpp führte.
»Bist du
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