Mörderische Aussichten
jedenfalls nicht Bill der Glückliche
wäre.
»Er hat mich schon den ganzen Sommer immer wieder angerufen, aber ich habe ihm jedes Mal erzählt, dass ich keine Zeit für
ihn hätte. Ich dachte, er würde es irgendwann mal begreifen. Und weißt du, was er dann gemacht hat?«
»Was?« Ich wollte es wirklich wissen. Es klang romantisch.
»Er hat einen Nierenstein bekommen. Hat die Leute von der Notaufnahme des Brookwood Hospital bei mir anrufen lassen. Unter
all den Schmerzen verlangte er nach mir. Ist das nicht supersüß?«
»Allerliebst.«
»Ja, das war es.«
»Geht es ihm jetzt wieder gut?«
»O ja. Er ist so gut wie neu. Sie haben das Ding mit Ultraschall-Stoßwellen zertrümmert.«
»Und da heißt es immer: ›Sag es mit Blumen.‹«
Sie kicherte erneut. Vielleicht lag ich nicht richtig mit meiner Einschätzung, wie ernst es meine Schwester mit Bill meinte.
Sie zeigte auf Eddie Turketts Haus. »Meinst du wirklich, Sunshine könnte sich da verstecken?«
»Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur, dass sie zeitweise hier lebt.«
»Da hat sie wenigstens Platz, um ihre Kleider aufzuhängen.«
»Offensichtlich.«
»Hmmm«, sagte Schwesterherz. »Willst du nicht mal an die Tür klopfen?«
»Nein. Abgesehen davon, würde sie auch nicht an die Tür kommen, falls sie sich dort versteckt.«
»Sie versteckt sich doch nicht vor uns. Sie versteckt sich vor der Person, die den Indianer umgebracht hat.«
»Was ist, wenn jemand anderes an die Tür kommt, etwa Eddies Frau?«
»Dann erzählen wir, wir seien von den Zeugen Jehovas.«
»Mit Sicherheit nicht.«
Mary Alice griff in ihre Handtasche und zog ein kleines Fernglas heraus, das sie auf das Haus richtete.
»Pack das Ding weg!« Ich grapschte danach.
Sie duckte sich weg. »Meine Güte, ich schau doch bloß mal.«
»Du spionierst.«
»Natürlich. Weshalb sind wir denn sonst hier rausgefahren?«
Ich dachte einen Augenblick darüber nach, während Mary Alice das Fernglas scharf stellte und hindurchschaute. »Siehst du irgendwas?«,
fragte ich.
»Nein. Aber ich sag’s dir, Maus, das ist alles verdammt verwirrend. Ich komme einfach nicht dahinter, ob diese Leute nun Pöbel
sind oder nicht. Ich hasse es, das nicht herauszukriegen, du nicht?«
»Hmmm.« Mit dem Fernglas auf ein Haus zu starren, war ziemlich pöbelmäßig. Besser jedoch ich sagte nichts.
»Ich glaube, da oben im zweiten Stock schaut jemand durch die Vorhänge. Schau mal, was du meinst.«
Pöbel hin oder her, ich nahm das Fernglas. »Ich sehe nichts.«
Neben uns hielt plötzlich ein weißes Auto, aus dem eine bekannte Gestalt stieg.
Officer Bo Mitchell vom Birmingham Police Department bedeutete Mary Alice, das Fenster herunterzulassen.
»Ich hörte, was der Dienststellenleiter erzählte, und sagte mir: ›Bo, Mädchen, es kann nicht sein, wonach es sich anhört –
zwei Frauen in einem Jaguar, die auf dem Redmont Crest herumfahren und nach einem Haus Ausschau halten, um es auszurauben.‹
Aber ich habe mich geirrt, stimmt’s? Sie sind das also. Ist das das Haus, für das Sie sich entschieden haben?«
»Hallo, Bo«, sagten wir einstimmig.
»Die ganze Straße hat angerufen.«
»Dabei sieht es gar nicht so aus, als sei irgendjemand zu Hause.«
»Machen Sie sich doch nichts vor.« Bo wischte sich die Stirn mit einem Taschentuch ab, das sie aus ihrer Tasche zog. »Lassen
Sie mich auf Ihren Rücksitz. Ich sterbe hier draußen.«
Mary Alice entriegelte die Tür, und Bo stieg ein.
»Gott, was für ein Tag.« Sie lehnte sich nach vorn und grinste. »Jetzt aber erst mal hallo, meine beiden Lieblingsverbrecherinnen.
Was geht denn hier vor?«
»Sie haben noch mehr abgenommen«, bemerkte ich.
Bo nickte. »Sechzig Kilo. Wenn Oprah das schafft, schaffe ich es auch.«
»Sie sehen großartig aus.« Das stimmte absolut. Bos Haut hat die Farbe von heller Schokolade, und ihre weit auseinanderstehenden
Augen haben eine leicht asiatische Form.
»Sie allerdings nicht. Was haben Sie mit Ihrem Kopf gemacht?«
»Ich bin über einen Truthahn gefallen.«
»Klingt einleuchtend.« Bo lachte. »Wollen Sie mir bitte sagen, was Sie beide hier oben treiben?«
»Das ist eine lange Geschichte«, sagte Schwesterherz.
»Ich höre mir furchtbar gern Ihre Geschichten an. Lassen Sie uns runter zu Hardee’s gehen, dann können Sie in aller Ruhe erzählen.
Ich könnte eine Cola und eine Toilette gebrauchen.«
»Mein Haus liegt näher«, sagte Mary Alice. »Und es ist wirklich eine komplizierte
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