Moerderische Fracht
reden, und dann kommt ihr nach. Das Hotel ist schon bezahlt, und ich lasse euch mein Auto da. Ich habe in Cuxhaven übrigens ein Ferienhaus, in dem ihr wohnen könnt, wenn ihr wollt. Ist das okay?«
»Ja«, sagte Anna und sah zu, wie Meiners sich geschickt und mit ziemlicher Dreistigkeit in den dicht fließenden Verkehr einfädelte. »Jetzt, wo ich hier im Auto sitze, kommt mir das alles wieder ziemlich unsinnig vor. Ich meine, die ganze Sache mit dem Terrorismus auf hoher See. Lohnt sich denn der ganze Aufwand? Könnten die Burschen nicht mit ein paar Kilo TNT an Land viel einfacher einen Riesenschaden anrichten? Warum schießen sie nicht mit Raketenwerfern ein paar russische Ölfelder in Brand? Oder jagen einen Kilometer Gas-Pipeline in die Luft?«
»Ich glaube, so einfach, wie du es dir vorstellst, ist das nun wieder nicht«, sagte Elena, »vor allem habe ich immer mehr das Gefühl, dass es nicht einfach nur um Russland geht.«
»Vor der Jahrtausendwende war maritimer Terrorismus eigentlich gar kein Thema«, sagte Meiners, »wenn man mal von dem Angriff auf die Achille Lauro 1985 absieht. Doch dann ging es los. Im Jahr 2000 wurde die USS Cole im Hafen von Aden von einem mit Sprengstoff beladenen Schlauchboot gerammt. Und fast genauso lief 2002 der Anschlag auf den französischen Öltanker Limburg ab. Wieder Selbstmordattentäter, wieder ein Kleinboot voller Sprengstoff. Ein Seemann starb, und rund 90000 Barrel Öl liefen ins Meer. Also ich glaube, dass an Chasimikows Geschichte etwas dran ist, und finde das ganze Szenario überhaupt nicht unrealistisch.«
Meiners parkte den Wagen in der Tiefgarage des Hotels, holte seine Reisetasche aus dem Kofferraum und drückte mir die Schlüssel in die Hand.
»Hier. Ich werde von Nils und Robert abgeholt. Der Tank ist voll, macht euch einen schönen Tag. Wir telefonieren morgen.«
Und damit war er weg.
»Ein schneller Mann«, sagte Elena anerkennend.
»Ja«, bestätigte Anna und sah ihm nach. In ihrem Blick war eine Wärme und Zuneigung, die mich überraschte. Schließlich schüttelte sie nachdenklich den Kopf.
»Elena und ich wollen uns die Stadt ansehen. Kommst du mit?«
»Nein, ich will Mischka Leonard besuchen. Wir treffen uns einfach um sechs Uhr wieder hier und gehen was essen. Wollt ihr das Auto?«
Anna schüttelte den Kopf.
»Wir finden sowieso keinen Parkplatz.«
»Guttt«, entschied Elena und übertrieb ihren russischen Akzent mit einem sarkastischen Grinsen, »auf zum Stadtbummel. Mit Hafenrundfahrt und St. Pauli?«
»Auf jeden Fall St. Pauli!«, sagte Anna.
Zwölf
N
atürlich erreichte ich Mischka Leonard nicht. Mein alter Schulfreund war ein viel beschäftigter Mann. Ich wurde telefonisch durch den halben Innensenat weitergereicht, bis sich am anderen Ende die geschmeidige Tuntenstimme meldete, die mich schon vor zwei Jahren mit so unnachahmlicher Arroganz abgefertigt hatte. Mischkas Sekretär. Doch diesmal schien er zu wissen, wer ich war, und riss sich zusammen.
»Dr. Nyström, grüße Sie. Hören Sie, das tut mir jetzt aber leid. Was für ein Malheur. Der ist im Urlaub. Ma – le – di – ven! Erreichbar? Grundgütiger, nein! Schauen Sie, selbst ich kann ihn nicht …!« Er machte eine kleine, theatralische Pause, um zu demonstrieren, wie hilflos auch ein beherzter Mensch sein kann – und ich fing an, ihn zu mögen. Wir tauschten uns noch einen Augenblick dahin gehend aus, was für ein unglückseliger Zufall es war, dass zwei so alte Freunde sich auf diese Weise verpassten, dass er schließlich nicht zaubern konnte, ich aber das nächste Mal ja vielleicht vorher … dann legte ich auf.
Ich war enttäuscht, denn ich hatte mich auf Mischka gefreut, und vor allem wollte ich mit ihm reden. Über Chasimikow, das Attentat und einen Mörder im Rollstuhl, der mir eine Heidenangst machte. Mischka Leonard – mit etwas Glück künftiger Innensenator der Stadt Hamburg – war ein cooler Zyniker mit einem glasklaren Verstand und mein dienstältester Freund. Ich war der einzige Mensch, dem er jemals vertraut hatte. Unschlüssig betrachtete ich den Autoschlüssel in meiner Hand. Vielleicht konnte ich mit jemand anderem reden. Ich ging zurück in die Tiefgarage, stieg in Meiners’ Auto und schaltete das Navigationsgerät an. Nach kurzem Zögern gab ich »Schiffbeker Weg /Friedhof Ojendorf« ein und fuhr los.
Mit Staunen hatte ich nach Helens Tod vor zwei Jahren erfahren, dass sie sich schon zu Lebzeiten auf diesem Friedhof eine Grabstätte gekauft
Weitere Kostenlose Bücher