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Moerderische Fracht

Titel: Moerderische Fracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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Ausstellungsräumen, deren Wände dicht mit Bildern behängt waren. Die Künstlerin saß hinter einem kleinen Schreibtisch, las, trank Kaffee und rauchte ein Zigarillo.
    »Hi!«, sagte sie, lächelte freundlich und deutete mit einer einladenden Bewegung auf die Bilder an den Wänden. Sie wandte sie sich wieder ihrem Buch zu, und ich betrachtete die Kunstwerke. Jaqueline van t’Hoff war zweifellos talentiert und technisch brillant, aber ihre Bilder gefielen mir nicht. Sie waren zugleich surrealistisch und kubistisch beeinflusst, was irgendwie so aussah, wie wenn Salvador Dali sich im Alter noch auf die Vorzüge des Lineals besonnen hätte.
    Während ich weiter mit geheucheltem Interesse die Reihe der Bilder abschritt, ließ ich meinen Blick unauffällig zu van t’Hoff hinübergleiten. Obwohl sie saß, konnte man sehen, dass sie mindestens einen Meter achtzig groß sein musste, und sie sah genauso gut aus wie auf den Fotos. Brünettes langes Haar, ein großer Mund mit sehr vollen Lippen und viel Make-up. Ihre Augen waren hinter einer großen Sonnenbrille verborgen, die auch einen Teil der Jochbögen verdeckte, und sie trug einen schicken Rollkragenpullover und Designer-Jeans. Plötzlich schien sie meinen Blick zu spüren, drehte sich zu mir um und schenkte mir ein breites Lächeln.
    »Kann ich Ihnen helfen?« Ihr Deutsch war beinahe akzentfrei.
    »Vielleicht, aber möglicherweise kann ich auch Ihnen helfen«, sagte ich und schlenderte auf ihren Schreibtisch zu. Ihr Lächeln strauchelte, fing sich aber wieder.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Tut es noch sehr weh?«
    Ich machte mit dem Zeigefinger eine kreisende Bewegung um meine rechte Augenhöhle und deutete auf sie. Ich hatte mich entschlossen, alles auf eine Karte zu setzen. Das Lächeln war jetzt ganz verschwunden und hatte einer kühlen Wachsamkeit Platz gemacht. Ihre rechte Hand schob sich unauffällig auf eine große Schere zu, die auf ihrem Schreibtisch lag.
    »Was wollen Sie von mir?«
    »Darf ich mich setzen?«
    »Nein!«
    Ich zog den zweiten Stuhl unter ihrem Tisch hervor, drehte ihn um und setzte mich rittlings darauf. Ihre Hand hatte jetzt die Schere erreicht. Sie riss sie an sich, umklammerte sie mit beiden Händen und streckte sie mir entgegen.
    »Raus!«, sagte sie.
    Ich ignorierte die Drohung, langte mit der rechten Hand über den Tisch und zog mit zwei Fingern den Rollkragen ihres Pullovers herunter. Ihr Hals war übersät mit blaugrünen Würgemalen.
    »Warum nehmen Sie nicht bei ihm die Schere?«
    Sie ließ resigniert die Hände sinken und starrte mich an.
    »Wie konnten Sie wissen, dass ich sie nicht benutzen würde?«, flüsterte sie.
    »Na ja, wenn Sie mit dem Ding nicht auf den Mann losgehen, der Ihnen das antut, werden Sie wohl kaum mich erstechen.«
    »Wer sind Sie?«
    »Das spielt keine Rolle, glauben Sie mir. Wo ist Morisaitte jetzt?«
    »In Deutschland.«
    »Wann kommt er zurück?«
    »Übermorgen.«
    »Und? Freuen Sie sich drauf?«
    Mit einer vorsichtigen Bewegung nahm sie die Brille ab. Sie hatte schöne braune Augen, die sich mit Tränen füllten. Unter dem linken war trotz der Schminke ein großes Hämatom zu sehen.
    »Sie sind ein Schwein«, sagte sie tonlos.
    »Sie verwechseln da was! Er ist das Schwein. Warum lassen Sie das mit sich machen?«
    Sie stand auf, schloss die Ladentür ab und stellte die Lamellenrollos enger, sodass niemand hineinsehen konnte.
    »Das verstehen Sie nicht«, sagte sie.
    »Nein! Das muss ich auch nicht. Doch wenn Sie wollen, machen wir Schluss damit!«
    Sie schüttelte resigniert den Kopf.
    »Das ist unmöglich. Sie kennen ihn nicht. Er findet jeden. Immer und überall auf der Welt. Man kann ihn nicht verlassen.«
    »Wenn er tot ist, schon!«
    Dies war der Augenblick der Entscheidung, und ich war mir absolut nicht sicher, wie sie reagieren würde. Was tut ein normaler Mensch, wenn man ihm mitten am Tag und zur besten Geschäftszeit einen Mord vorschlägt? Ich hatte keine Vorstellung, und doch schaffte es Jaqueline van t’Hoff, mich zu verblüffen. Ihre tränennassen Augen waren weit aufgerissen, und darin sah ich das Aufflackern von Hoffnung. Sie sah aus wie ein Patient, dem man mitteilt, dass die Laborwerte vertauscht wurden und er wider Erwarten nicht sterben wird. Und da war noch etwas. Ein Hauch von Berechnung. Sie zauberte ein schüchternes, zaghaftes Lächeln hervor.
    »Das würden Sie für mich tun?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Nein«, sagte ich, »nicht für Sie. Aber meine Gründe gehen Sie nichts

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