Moerderische Fracht
fieberhaft, wie viel ich ihm von dem, was vor zwei Jahren passiert war, erzählen konnte, ohne in den Knast zu wandern. Beim Betreten des Büros hatte ich Anna mit einer unmissverständlichen Geste bedeutet, dass sie das Lügen mir überlassen solle.
Zunächst hatten Winter und ein weiterer Beamter ein Protokoll von den Ereignissen im ICE aufgenommen, die ich wahrheitsgemäß schilderte. Bedauerlicherweise musste ich einräumen, dass die Pistole des Attentäters noch in unserem Besitz war. Anna hatte sie aus ihrem Rucksack geholt und dem ungläubig dreinblickenden Winter auf den Tisch gelegt. Immerhin war sie ein Beweis für den Wahrheitsgehalt unserer Geschichte. Der jetzt anstehende Themenkomplex war erheblich heikler.
»Kriminaloberkommissar Geldorf«, begann ich vorsichtig, »war der leitende Ermittlungsbeamte im Mordfall Jonas, allerdings wollte er nicht wahrhaben, dass es sich um Mord handelte. Helen Jonas, eine bekannte Journalistin und Freundin von mir, wurde vor etwa zwei Jahren tot in einer Hamburger Saunakabine gefunden. Ich habe nicht an eine natürliche Todesursache geglaubt und deshalb mit der Schwester der Toten, die Sie hier neben mir sehen, ein paar Ermittlungen angestellt, die leider ergebnislos verlaufen sind. Geldorf war sauer deswegen, aber ich habe keine Ahnung, wieso er gedacht hat, ich würde seinen Mörder kennen. Wieso sind Sie denn so schnell auf mich gekommen?«
»Na ja … der Notarzt, der versucht hat Geldorfs Leben zu retten, hat dessen letzte Worte natürlich an die Hamburger Kripo weitergegeben, und die haben bei den Kollegen in München angerufen. Erstaunlicherweise gibt es dort tatsächlich nur einen Nyström mit Doktortitel, und so war es kein Problem, Ihre Anschrift und Ihren Arbeitgeber zu ermitteln. Jemand im Max-Planck-Institut teilte dann der Polizei mit, Sie seien nach Schweden gereist, um sich um Ihre Eltern zu kümmern. Die Hamburger Polizei hat versucht, bei diesen in Växjö anzurufen, doch es war niemand zu Hause, und damit war die Sache erst mal gelaufen. Da nichts gegen Sie vorlag, konnte man Ihnen schlecht die schwedische Polizei hinterherschicken. Die Informationen aus Hamburg sind natürlich auch auf unseren Schreibtischen gelandet, und als dieser Herr Maybauer bei uns anrief und Ihr Name fiel, habe ich zwei und zwei zusammengezählt.«
»Gut gemacht«, sagte Anna pampig, »aber was wollen Sie denn jetzt eigentlich von uns?«
Ich warf ihr einen finsteren Blick zu und sah, wie sie rot wurde. Winter schien der Ton nicht zu stören.
»Tja, wissen Sie, wenn ein Polizist getötet wird, gehen die Kollegen nicht einfach zur Tagesordnung über. Das ist nicht nur in amerikanischen Filmen so. Geldorf war sehr beliebt bei seinen Hamburger Kollegen. Die sind die Ermittlungsakten sämtlicher Fälle, an denen er in den letzten Jahren gearbeitet hat, durchgegangen und sind tatsächlich zweimal auf Ihren Namen gestoßen.«
»Auf meinen?«, fragte ich unnötigerweise.
Winter nickte.
»Einmal tauchen Sie im Zusammenhang mit dem Tod von Frau Jonas auf. Geldorf hat schriftlich festgehalten, dass Sie an einen Mord glaubten, und in der Tat ist die Staatsanwaltschaft Ihren Hinweisen diesbezüglich nachgegangen. Die Obduktion konnte den Mordverdacht allerdings nicht erhärten, und es gab auch sonst keinerlei Indizien, die auf Fremdeinwirkung schließen ließen. Aus meiner Sicht wurde korrekt ermittelt und die Akte letztendlich ergebnislos geschlossen.«
Ich warf Anna einen warnenden Blick zu, doch sie hatte sich im Griff und schwieg eisern. Auch ich sagte nichts. Ich hatte beschlossen, Winter zunächst einmal reden zu lassen, um einschätzen zu können, was er wirklich wusste.
»Aber da gab es noch einen zweiten Fall«, fuhr Winter fort. »Knapp fünf Tage nach dem Tod von Frau Jonas wurde in Hamburg auf dem Bahnhofsklo ein Mann tot aufgefunden. Die Ermittlungen ergaben, dass es sich um einen von Interpol gesuchten albanischen Kriegsverbrecher handelte. Der Mord war einigermaßen rätselhaft, weil dem Mann zunächst mit einer kleinkalibrigen Waffe in den Oberschenkel geschossen wurde. Die Kugel traf eine lebenswichtige Arterie, und das Opfer begann stark zu bluten, schaffte es allerdings irgendwie noch, sich das Bein mit seinem Gürtel abzubinden. Als Arterienpresse benutzte er ein Damen-T-Shirt, dessen Herkunft bis heute ungeklärt ist. Das alles nutzte nicht viel, weil ihm wenig später jemand mit einer großkalibrigen Pistole mitten ins Gesicht schoss und von seinem Kopf
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