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Moerderische Fracht

Titel: Moerderische Fracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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Kontext alles Mögliche bedeuten. Es gibt nie eine einzige universelle Übersetzung!«
    Anna lachte, und ihr Ärger schien weitgehend verflogen zu sein.
    »Kann man auf Russisch gut fluchen?«
    »Oh ja«, sagte Elena, »ich würde sogar behaupten, man kann in keiner Sprache besser fluchen. Der Dichter Ossip Mandelstam hat einmal gesagt: ›In Russland benützt man die Schimpfwörter nicht zum Fluchen, sondern zum Sprechen‹. Da ist was dran!«
    »Na gut«, sagte Anna, »aber mein Repertoire an deutschen Schimpfwörtern ist auch nicht ohne!«
    »Bestimmt, aber wir Russen haben das ›mat‹, ein Wort, für das es in anderen Sprachen eigentlich gar keine richtige Entsprechung gibt: Es ist eine Sammlung besonders grober und erniedrigender Schimpfwörter. Die meisten davon sind sogenannte ›Mutterflüche‹, also Beschimpfungen schlimmster Art mit sexuellem Bezug. Sie werden hauptsächlich benutzt, wenn Männer unter sich sind. Der höfliche, wohlerzogene Russe benutzt diese Wörter ebenfalls, indem er sie einfach umschreibt. So hat zum Beispiel das russische Schimpfwort für Penis drei Buchstaben. Wenn man ausdrücken will, dass man jemanden grob weggeschickt oder zum Teufel gejagt hat, sagt man: ›Ich habe ihn auf drei Buchstaben geschickt!«‹
    Anna lachte schallend.
    »Das ist super, daran erkennt man eine Kulturnation. Kannst du mir dieses ›mat‹ beibringen?«
    »Nein, das ist zu gefährlich. Du würdest unter Garantie das falsche Wort in der falschen Situation zu den falschen Leuten sagen, und wir dürfen dich anschließend im Krankenhaus besuchen.«
    »Schade«, sagte Anna und schien tatsächlich enttäuscht zu sein. Sie sah auf ihre Armbanduhr. »Gut, lasst uns zum WSA zurückgehen. Es ist schon nach fünf. Vielleicht sind die ja langsam fertig.«
    Als wir zum Wasser- und Schifffahrtsamt zurückkamen, standen Meiners und Petersen auf den unteren Stufen der Treppe und unterhielten sich mit einem Mann, den wir nicht kannten. Er war klein und kahlköpfig, trug eine Nickelbrille und hatte ein merkwürdig glattes und faltenloses Gesicht, obwohl ich ihn auf mindestens fünfzig Jahre schätzte.
    »Das ist Hauptkommissar Winter von der Polizeiinspektion Cuxhaven«, stellte Meiners vor, »er will mit euch sprechen, wegen des Mannes, der euch im Zug angegriffen hat.«
    »Oh je«, seufzte Anna mit einem scheuen Lächeln, das so falsch war wie ein Vier-Euro-Schein, »das hätten wir melden müssen, nicht wahr. Heute wissen wir das, aber es ging alles wahnsinnig schnell, und wir waren so furchtbar aufgeregt.«
    Winter sah sie kühl und abwartend an. Die Kleinmädchennummer inklusive Augenaufschlag hatte erkennbar nicht die geringste Wirkung auf ihn.
    »Ein Herr Maybauer hat uns Ihretwegen angerufen. Sie hätten die Tat auf jeden Fall anzeigen müssen. Ein Angriff mit einer Waffe ist ein Offizialdelikt und nicht Ihre Privatangelegenheit.«
    »Maybauer, also«, sagte Anna, deren strahlende Fassade sich schlagartig verfinstert hatte. »Der Mann ist ein mieses, rachsüchtiges …«
    »Das reicht«, sagte Winter, »ich will mit Ihnen sprechen. Mit ihnen allen. Auf dem Revier.«
    »Wann?«
    »Jetzt!«
    »Das geht nicht«, widersprach Anna, »wir haben jetzt noch etwas anderes vor. Morgen früh kommen wir bei Ihnen vorbei und machen ein schönes, ausführliches Protokoll.«
    Winter schüttelte den Kopf.
    »Das war keine Bitte. Und außerdem möchte ich noch über etwas anderes mit Ihnen reden. Vor zwei Tagen wurde in Hamburg ein Mann erstochen. Ein Angler, der nichts ahnend am Elbufer saß, als ihm jemand von hinten eine Art Buschmesser in den Rücken gerammt hat. Er ist in den Armen des Notarztes gestorben, hat aber noch etwas gesagt. Sie wissen schon, die sprichwörtlichen letzten Worte. Wollen Sie sie hören?«
    »Nein!«, knurrte Anna.
    »Er sagte: ›Sprechen Sie mit Nyström. Dr. Nyström aus München. Der weiß, wo das Schwein …‹. Tja, und dann ist er gestorben.«
    »Ich verstehe kein Wort«, log ich und spürte, wie mir warm wurde. Ich wusste genau, was jetzt kommen würde.
    »Der Mann war ein ehemaliger Kollege von uns, ein Polizist im Vorruhestand. Sein Name war Geldorf.«

Zwanzig
    W
    ie gut kannten Sie ihn denn?«
    Hauptkommissar Winter schob seine Nickelbrille, die ihm immer wieder auf die Nasenspitze rutschte, hoch und betrachtete versonnen seine schmalen, gut manikürten Hände. Anna, Elena und ich saßen nebeneinander, aufgereiht wie Hühner auf der Stange, vor Winters Schreibtisch, und ich überlegte

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