Moerderische Fracht
zu schießen – die Ungereimtheiten hatten Geldorfs Verstand mächtig zugesetzt, und er hatte es an mir ausgelassen.
»Wollen Sie sich zu all dem äußern?«, fragte Winter.
»Ich weiß nicht mehr, als in Ihren Akten steht.«
Winter sah mich durchdringend an und schwieg einen Augenblick.
»Nun gut«, sagte er, »es ist ja nicht mein Fall. Eine merkwürdige Sache gibt es aber noch. Einer der Kollegen, die Geldorfs alte Ermittlungsakten durchforstet haben, ist darauf gestoßen. Die Aufnahme von dem Mann, der den Notruf getätigt hat, wurde auf CD gespeichert und landete mit den Analyseergebnissen in der Asservatenkammer der Polizei. Tja, und von dort ist sie verschwunden.«
Winter starrte mich weiter an und schien gespannt, wie ich auf diese Neuigkeit reagieren würde.
»Lieber Himmel, wer macht denn so was?«, grinste Anna, und diesmal schaute Winter doch irritiert zu ihr hinüber, was mir Gelegenheit gab, Freude und Genugtuung aus meinen Gesichtszügen zu verbannen. Geldorf hatte also Wort gehalten und die CD nach unserer Einigung in Antwerpen offenbar beseitigt. Seine dröhnend joviale Bassstimme war nach wie vor in meinem Kopf präsent: Ich will die Sache vom Tisch haben, und zwar hier und jetzt. So, wie ich das sehe, haben wir ein Patt: Ich hab jede Menge Beweise, um Sie mit der Leiche im Bahnhofsklo in Verbindung zu bringen. Wenn ich will, kann ich Sie fertigmachen. Andererseits würden Sie wahrscheinlich bei den Vernehmungen allerlei Dinge zu Protokoll geben, die unter uns bleiben sollten. Nicht dass Sie etwas beweisen könnten, machen Sie sich da nichts vor. Aber ich will in den Vorruhestand, und zwar mit vollen Bezügen und einer sauberen Akte!
Beides hatte er bekommen, ohne es lange genießen zu können. Warum war er Morisaitte im Weg gewesen? Ich wusste es nicht.
»In der Notrufzentrale existiert doch noch eine Aufnahme?«, fragte ich, nur um sicherzugehen, dass das nicht der Fall war.
»Die Bänder werden nach zwölf Monaten routinemäßig gelöscht.«
Ich schwieg, und auch Anna konnte sich einen Kommentar zu dieser erfreulichen Information verkneifen.
»Gut«, sagte Winter schließlich, »das wars fürs Erste. Sollen sich die Kollegen aus Hamburg mit Ihnen herumschlagen.«
»Sie haben denen sicher mitgeteilt, wo sie mich finden können.«
»Klar«, sagte Winter, »das hier war lediglich das Vorgeplänkel. Sie hätten den Überfall im Zug melden und vor allem die Pistole abgeben müssen. Wie wäre es mit einem Verfahren wegen Behinderung polizeilicher Ermittlungen und unerlaubten Waffenbesitzes?«
»Fahren Sie zur Hölle«, giftete Anna, »wir reisen hier an, um eine Katastrophe zu verhindern, und Sie kommen uns mit einem derartigen Scheiß? Bloß weil dieser aufgeblasene BND-Heini Sie in die Spur geschickt hat?«
Winter wiegte bedächtig seinen Kopf hin und her.
»Ich hätte zu gerne gewusst, was Sie mit der Pistole eigentlich vorhatten.«
»Schon klar«, zischte Anna, »aber wie der große Philosoph Mick Jagger so treffend formulierte: ›You can’t always get what you want.«‹
»Stimmt«, sagte Winter, »dafür habe ich jetzt eine Vorstellung davon, warum Geldorf Ihnen kein Wort geglaubt hat!«
Einundzwanzig
M
einers wartete mit Petersen im Auto vor dem Polizeirevier und grinste fröhlich, als er uns sah.
»Wir haben in der Zwischenzeit eingekauft, und jetzt fahren wir in mein Ferienhaus und futtern was Anständiges.«
»Wunderbar«, sagte Anna, »dieser Bulle hätte es fast geschafft, mir den Appetit zu verderben, aber nur fast!«
Meiners’ Ferienhaus lag am Ortsrand von Duhnen, dem Kur- und Urlaubsviertel von Cuxhaven. Es war ein kleines, frei stehendes Hexenhaus mit einer ungewöhnlich spitzen Dachkonstruktion und der ortsüblichen Klinkerfassade, das über zwei Schlafzimmer, einen Wohnraum, eine kleine Küche und ein winziges Bad verfügte. Dafür war es von einem großen verwilderten Garten mit hohen Hecken umgeben. Wenige Meter hinter dem Haus begann schon die Duhner Heide. Wir fuhren über eine breite Kieseinfahrt zum Haus, trugen gemeinsam die Einkäufe hinein, und während Elena, Meiners und Petersen anfingen, die Brötchen zu belegen, nahm Anna mich beiseite.
»Wir müssen kurz reden. Allein!«
Sie schob mich in eines der Schlafzimmer und schloss die Tür.
»Hast du Geheimnisse vor Meiners?«
»Jede Frau hat Geheimnisse – und das hier geht nur uns etwas an! Ich werde es ihm erzählen, wenn es so weit ist!«
Ich nickte.
»Er ist hier«, begann sie, »hier in
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