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Moerderische Fracht

Titel: Moerderische Fracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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schien bei vollem Bewusstsein zu sein. Seine Lippen öffneten sich zu einem schadenfrohen Grinsen, und sein Atem verströmte einen intensiv medizinischen Geruch, wie in einer Zahnarztpraxis, aber seine Zähne waren nur faulige Stummel, und nun hörte ich seine Stimme. Sie klang tief und angenehm, beinahe heiter.
    »Sansibar!«, sagte er und begann meinen Arm zu verdrehen. Mit einer Hand, völlig mühelos, ich versuchte dagegenzuhalten, doch er war zu stark, wieso war er so stark, ich war gekommen, um ihn zu töten, und jetzt …
    »Fixieren«, sagte eine fremde Stimme. Es war die Stimme einer Frau. Sie hatte hier nichts zu suchen. Sie dachte, er sei tot, aber das war er nicht. Sie musste hier verschwinden, das war viel zu …
    »Verdammt!«, fauchte die Frau, »fixieren Sie den Arm, oder können Sie das auch nicht?«
    Eine gemurmelte Entschuldigung.
    Ich ging wieder unter.

Neunundzwanzig
    A
    ber einmal tauchte ich noch auf in dieser Nacht. Und hoffte, dass jemand auf mich wartete. Als ich langsam an die Oberfläche glitt, wurde diese Hoffnung zur Gewissheit. Ich musste mit ihr sprechen, musste ihr sagen, dass …
    »Psst … nicht reden«, flüsterte Elena. Ich hatte mich auf einen horizontalen Lichtstreifen zubewegt, und als ich jetzt Elenas Stimme an meinem Ohr wahrnahm, erkannte ich, dass ich auf eine schwach leuchtende Neonröhre zugeschwebt war, die an der Zimmerdecke hing. Abgesehen von dieser Notbeleuchtung war es dunkel um uns herum. Ich konnte Elenas Parfüm riechen. Sie hatte sich vorgebeugt, und als ich die Augen öffnete, drückte sie meine Hand und lächelte zaghaft.
    »Du wirst wieder gesund«, sagte sie, »der Arzt hat es versprochen.«
    Ich erwiderte den Druck ihrer Hand und wollte ebenfalls lächeln, aber meine Gesichtsmuskeln ließen sich nicht bewegen. Elena goss Mineralwasser auf ein Tuch und tupfte damit vorsichtig meine Lippen ab. Ich bemühte mich, meine Zunge herauszustrecken, um etwas von der Feuchtigkeit zu spüren, und nach ein paar vergeblichen Versuchen bewegte sie sich tatsächlich ein winziges Stück nach vorn.
    »Ich muss dich etwas fragen«, sagte Elena leise, »es ist sehr wichtig. Wenn du mit Ja antworten willst, drückst du meine Hand, bei Nein machst du einfach nichts.«
    Zum Zeichen, dass ich verstanden hatte, umfasste ich vorsichtig ihre Finger.
    »War es der Mann im Rollstuhl, der dir das angetan hat? Zusammen mit seinen Leuten?«
    Ich drückte ein Ja. Elenas blasses Gesicht hatte einen harten und angespannten Ausdruck angenommen. Sie schien zu wissen, dass wir nicht viel Zeit hatten.
    »Soll ich die Polizei informieren?«
    Meine Hand rührte sich nicht.
    »Weißt du, wo er jetzt ist?«
    Nein, das wusste ich nicht. Aber ich hatte mir etwas gemerkt. Etwas, das ich unbedingt loswerden musste, bevor mein Verstand wieder abdankte. Ich hatte nicht die geringste Hoffnung mehr gehabt, es irgendjemandem erzählen zu können, und jetzt, wo es möglich war, konnte ich nicht sprechen. Elenas Gesicht begann vor meinen Augen zu verschwimmen. Ich konzentrierte mich auf meine Zungenspitze, versuchte sie hinter den Überresten meiner oberen Schneidezähne in Position zu bringen. Und dann brachte ich tatsächlich ein »t« und ein krächzendes Geräusch zustande.
    »Toioha, waase Van.«
    Ich sah in Elenas Augen, dass sie mich nicht verstand. Der Lichtbalken der Neonröhre über mir schien sich wieder zu entfernen und mit ihm ihr Gesicht. Verzweifelt löste ich meine Finger aus ihrer Hand und probierte die Geste des Schreibens. Diesmal begriff sie, was ich wollte. Mit zittrigen Händen zog sie aus ihrer Handtasche Notizblock und Kugelschreiber. Ohne hinzusehen, schon im Wegdämmern kritzelte ich ein großes B und das Kennzeichen. Das Letzte, was ich wahrnahm, war Elenas Stimme.
    »Gut«, sagte sie, »sehr gut!«

Dreißig
    15. September
    I
    ch hatte ein Einzelzimmer. Das kann ich mir nicht leisten, dachte ich. Ich habe mich später oft gefragt, warum, nach allem, was ich durchgemacht hatte, dieser blöde Gedanke das Erste war, wer mir durch den Kopf ging. Ich ließ den Blick von links nach rechts durch das Krankenhauszimmer schweifen und spürte ein intensives Gefühl der Erleichterung, als ich Anna sah, die an der rechten Seite des Bettes auf einem Stuhl saß und in einem Comic blätterte. Beinahe augenblicklich war die Erinnerung an Morisaittes Worte in der Werfthalle wieder da. Möchten Sie … noch etwas sagen? Etwas Geistreiches … das wir Ihrer mageren Schlampe ausrichten können …

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