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Moerderische Fracht

Titel: Moerderische Fracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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wenn wir sie besuchen? Es war ihr nichts passiert, und es war wunderbar, sie dort sitzen zu sehen. Ich gab mit geschlossenen Lippen eine Art Brummton von mir. Anna sah auf und grinste unbekümmert.
    »Hi!«, sagte sie, »welcome back to the show.«
    Ich brummte erneut.
    Anna beugte sich vor, streichelte meine Hand und ließ das Lächeln verschwinden.
    »Das war das letzte Mal, hörst du, das allerletzte Mal, dass du mir einen derartigen Schrecken einjagst, oder wir sind geschiedene Leute!«
    Ich probierte ein Nicken.
    »Gut, die Schwestern sagen, du darfst ein bisschen was trinken.«
    Das zweite Nicken ging schon besser. Anna griff nach einer Schnabeltasse auf dem Nachttisch, und ich trank in winzigen Schlucken eine halbe Tasse wunderbar aromatischen Pfefferminztee – ein Getränk, dem ich die letzten dreißig Jahre meines Lebens erfolgreich aus dem Weg gegangen war. Ich konnte also die Lippen öffnen. Vielleicht konnte ich sogar sprechen.
    »Elena?«, fragte ich, aber es war kaum mehr als ein Flüstern.
    »Kommt gleich. Sie ist mit Volker was essen gegangen. Ich bin die Mittagsschicht. Das mit dem Sprechen dauert noch ein wenig. Sie haben was mit deinem Kiefer gemacht, der Arzt wird es dir erklären. Jedenfalls kannst du deinen Mund noch nicht richtig öffnen. Das heißt mindestens eine Woche Babybrei und Schnabeltasse.«
    Ich nickte zum dritten Mal, was keine gute Idee war. In meinem Kopf breitete sich ein pochender Schmerz aus, der langsam stärker wurde. Anna setzte sich vorsichtig auf die Bettkante, nahm erneut meine Hand, und dann brach die Fassade von Schnodderigkeit und Zuversicht auseinander. Sie begann hemmungslos zu weinen.
    »Diese Schweine«, flüsterte sie, »diese verdammten Schweine!«
    Ihr Weinen und Zittern verstärkten meine Kopfschmerzen, doch ich zog meine Hand nicht zurück. Wenig später kamen Meiners und Elena herein. Er lächelte mir zu, nahm Anna in den Arm und ging mit ihr aus dem Zimmer, während Elena sich zu mir setzte.
    »Du wirst wieder ganz gesund, der Arzt hat es versprochen.«
    Ich machte eine Bewegung mit der Hand, und Elena beugte sich zu mir herunter.
    »Ich weiß«, flüsterte ich, »das hast du mir schon einmal gesagt, in jener Nacht.«
    »Kannst du dich an alles erinnern?«
    »Ich weiß, dass du da warst. Das war wunderbar.«
    »Mit was für Leuten habt ihr euch da angelegt, Thomas?«
    Ich schüttelte im Zeitlupentempo den Kopf und versuchte zu lächeln.
    »Die haben sich mit uns angelegt.«
    »Da!«, sagte Elena.
    Dann schlief ich wieder ein, und im Wegdämmern sah ich ein triumphierendes Leuchten auf ihrem Gesicht, das ich nicht verstand. Aber es gefiel mir.

Einunddreißig
    A
    ls ich später erwachte, waren alle drei da. Anna hatte eine reiche Auswahl an kleinen Gläschen mitgebracht, die sie jetzt auf dem Nachttisch in einer Reihe aufstellte.
    »Möchtest du püriertes Krankenhausessen oder lieber Bananen-Möhren-Apfelbrei ab dem zwölften Monat?«
    Ich schüttelte angewidert den Kopf und winkte die drei näher heran.
    »Wie lange war ich weggetreten?«
    Dafür, dass ich den Mund kaum aufbekam, war meine Artikulation gar nicht mal so schlecht. Anna jedenfalls verstand mich auf Anhieb.
    »Vier Tage. Sie haben dich in eine Art künstliches Koma gelegt.«
    »Wer hat mich aus dem Watt geholt?«
    »Lauter gute Jungs«, erklärte sie, »ich habe mich schon bedankt. Sobald du wieder gescheit sprechen kannst, gehen wir zusammen hin und geben einen aus!«
    »Eine Spende an die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger wäre besser«, wandte Meiners ein.
    »Sah das für dich nach Schiffbruch aus?«, fragte Anna.
    Meiners sah sie verständnislos an.
    »Ich glaube, ihr habt nicht die geringste Ahnung, wie aufwendig so ein Wattalarm ist, oder?«
    »Ich denke mal, du wirst es uns erzählen«, sagte Anna.
    Meiners blinzelte irritiert. Offenbar hatte er noch nicht ausreichend Gelegenheit gehabt, sich an Annas Humor zu gewöhnen. Er tat mir ein wenig leid.
    »Klar«, antwortete er, »ich habe mit dem Einsatzleiter der Feuerwehr geredet, der hat sich kaum noch eingekriegt und mir alles dreimal erzählt. Für einen Friesen ist der echt gesprächig. Thomas hat jedenfalls das volle Programm bekommen. Etwa gegen 22 Uhr haben Spaziergänger Schreie gehört. Sehr weit weg, sehr undeutlich, und das Pärchen war sich nicht einmal einig, ob sie überhaupt etwas gehört hatten. Die beiden haben eine Weile herumdiskutiert, bis die Frau sich durchsetzte und die Wasserschutzpolizei anrief.

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