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Moerderische Fracht

Titel: Moerderische Fracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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entschieden verbesserte. Oder auch nicht. Zumindest war ich nicht mehr allein. Um mich herum waren Stimmen. Viele Stimmen.
    »Sie müssen das Zimmer verlassen. Bitte, gehen Sie raus!«, verlangte eine befehlsgewohnte Frauenstimme.
    Nein, das werde ich nicht. Ich gehe nirgendwo mehr hin.
    »Das können Sie vergessen«, sagte eine zweite Stimme. Auch eine Frau. Mit Akzent. Sie klang vertraut und sprach mir aus der Seele. Genau, dachte ich, das können Sie vergessen! Ich spürte einen stechenden Schmerz in der rechten Armbeuge und dann wurde mir sehr warm. Unangenehm warm. Ich gehe, wann ich will. Kein Problem für jemanden, der schweben kann. Mein Körper hatte sich vom Untergrund gelöst und glitt an die Oberfläche. Die raue Frauenstimme war jetzt dicht an meinem Ohr, ein verzweifeltes Flüstern:
    »Thomas, bitte …«
    »Kreislauf sackt ab!«, rief jemand.
    »Schaffen Sie sie hier raus!«, befahl die Frau, die ich zuerst wahrgenommen hatte. Ich mochte sie nicht. Aber ich würde ihr nichts tun. Der Mann in Belgien allerdings … Ich sah Morisaitte auf dem Fußboden seiner Wohnung in Anderlecht liegen, das Bild wurde scharf und verschwand wieder.
    Das war etwas völlig anderes, hörte ich Anna sagen. Warum? Sie lachte. Weil er es verdient hat! Ich wiederholte diesen Satz wie ein verrücktes Mantra, doch es funktionierte nicht richtig. Jedenfalls nicht in dem Sinne, dass es mich beruhigte. Ich saß jetzt in einem Auto und starrte auf eine Fensterfront im vierten Stock eines Apartmenthauses. Warum dauerte das so lange? Wenn Sie so weit sind, schalten Sie einfach das Licht in raschem Wechsel an und aus, hatte ich zu ihr gesagt. Was war daran nicht zu verstehen? Das Licht ging aus. Wieder an. Wieder aus. Das reicht, verdammt! Sie schaltete es noch einmal an. Warum tat sie das? Von einer Sekunde auf die andere war das Misstrauen da. Was war, wenn sie es sich anders überlegte? Wenn ihre Angst die Oberhand gewann? Oder sie Morisaitte trotz der Misshandlungen auf eine verrückte Art liebte und ihm alles erzählt hatte? Was war, wenn sie mich verriet, statt ihn. Wenn er dort oben auf mich wartete? Mit einer Waffe in der Hand. Wir haben kein Interesse daran, Sie zu töten, aber auch kein Problem damit. Die Lage hatte sich geändert. Jetzt hatte er ein Interesse. Er tötete mich, und sie behielt die zweihunderttausend. Vielleicht war das ihr Plan. Vielleicht hoffte sie, dass er ihr dankbar war und die Misshandlungen aufhörten. Nein, so dumm war sie nicht. Wenn sie beichtete, war sie tot. Und ich auch.
    Schluss jetzt!
    Ich nahm den Geldkoffer, stieg aus und ging mit verkrampften Beinen auf die andere Straßenseite und hinein in das Apartmenthaus. Als ich an die Zimmertür im vierten Stock klopfte, wurde augenblicklich geöffnet. Van t’Hoff musste direkt hinter der Tür auf mich gewartet haben. In der Hand hielt sie einen großen Rucksack, in den sie jetzt den Geldkoffer, ohne ihn zu öffnen, hineinstopfte. Sie war wie ausgewechselt. Keinerlei Ähnlichkeit mehr mit dem zitternden Opferlamm, das ich in der Galerie kennengelernt hatte. Ihr Gesicht trug einen angespannten und konzentrierten Ausdruck, und sie schien keine Angst zu haben.
    »Im Esszimmer«, sagte sie und deutete mit dem Daumen hinter sich. Noch einmal ließ sie ihren Blick durch die Wohnung schweifen. Sie hatte mit dem hier abgeschlossen.
    »Hat er Sie …?«
    »Nein«, sagte sie ausdruckslos, »im Gegenteil. Er war sehr nett heute Abend.«
    Ich schloss die Zimmertür und sah nach Morisaitte. Er lag völlig reglos auf dem Fußboden. Die Atmung war flach, kaum wahrnehmbar, das Gesicht eingefallen und blass. Rohypnol war ein Spitzenprodukt. Ich schob seinen Hemdsärmel hoch und spritzte ihm das Insulin. Alles nach Plan, oder? Irgendetwas stimmte nicht. Ich kniete vor ihm auf dem Fußboden und beobachtete sein Gesicht. Seine Augenlider begannen zu flattern, und er bekam wieder Farbe. Das war unmöglich. Ich wusste nicht, was da passierte. Seine Finger begannen sich zu bewegen, er spreizte sie und schloss sie wieder zu Fäusten. Deutlich hob und senkte sich die Bauchdecke, als die Atmung kräftiger wurde. Das war nicht das, was ich mir unter einem diabetischen Koma vorgestellt hatte. Plötzlich schoss sein rechter Arm vor, und seine Finger umkrallten mein Handgelenk. Sein Griff war unfassbar hart, wie eine Schraubzwinge, ich fuhr zurück und zog ihn dabei halb in die Höhe. Als ich mit dem linken Arm ausholte, um auf ihn einzuschlagen, schlug er die Augen auf. Er

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