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Moerderische Fracht

Titel: Moerderische Fracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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gutzutun. »Wir haben doch von Petersen gehört, wie lausig zum Teil in der Kadetrinne navigiert wird. Viele Kapitäne fahren vorschriftswidrig wie Geisterfahrer. Sie fahren zu schnell ins Fahrwasser ein und gelangen auf die Gegenfahrbahn oder fahren gleich auf dem Mittelstreifen, der Trennlinie zwischen den zwei Spuren des Fahrwassers. So etwas Ähnliches hat der Kapitän des lettischen Frachters Krisjanis Waldemars hinbekommen. Möglicherweise war er betrunken. Er kam der Ulan entgegen und fuhr praktisch in die Ausläufer der Explosion hinein. Der Frachter fing ebenfalls Feuer, ist jedoch nicht gesunken. In den Nachrichten war die Rede von sechsundzwanzig Toten.«
    »Ist die Fahrrinne blockiert?«
    Meiners nickte.
    »Es klingt irre, aber es hat sich im Grunde genau so abgespielt, wie Nils Vohrmann es in der ersten Krisensitzung dargestellt hat. Die Ulan ist tatsächlich quer zur Fahrrinne versenkt worden, und die internationale Frachtschifffahrt steht kopf, was mir angesichts der ökologischen Katastrophe scheißegal ist. Es sind knapp achtzigtausend Tonnen Schweröl der russischen Klassifikation M-100 ausgetreten. Das Zeug ist eine zähe Masse aus Abfällen und Resten von Raffinerien, vermischt mit Altölen und Asche. Ein billiger Treibstoff, halb so teuer wie Schiffsdiesel, allerdings lupenreines Umweltgift. Nach meinen letzten Informationen von heute Morgen hatte das Schweröl der Ulan einen Schwefelgehalt von 2,6 Prozent. In Europa wird Öl mit einem Schwefelgehalt von über einem Prozent als Sondermüll behandelt. Es ist eine einzige gigantische Schweinerei. Die gesamte Küste sowohl auf deutscher als auch auf dänischer Seite ist verseucht, von der Lübecker Bucht bis hinauf nach Falster und Hiddensee, und der Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft wird ebenfalls seinen Teil abbekommen. Alle Schiffe zur Schadstoffunfallbekämpfung sind rund um die Uhr im Einsatz, nur, ab Windstärke 4 können sie sowieso kaum noch etwas ausrichten. Die Katastrophe ist unabwendbar. Meine Kollegen in Warnemünde haben alle wichtigen Nachrichtensendungen der letzten vier Tage auf DVD aufgezeichnet. Ich hab das Material dabei. Lass dir von Elena ein Notebook bringen und schau es dir an.«
    Meiners schwieg erschöpft. Anna hatte begonnen seinen Nacken zu massieren. Er hatte in seiner unterkühlten, beherrschten Art und mit nüchternen Worten die Fakten geschildert, allerdings hatte ich genug Fantasie und Sachverstand, um mir die Dimensionen des Infernos vorstellen zu können. Meiners war völlig fertig.
    »Ich wollte hier sein, wenn du zu dir kommst«, sagte er, »aber jetzt, wo ich weiß, dass du so weit in Ordnung bist, fahr ich wieder hoch auf den Darß. Ich kann hier nicht herumsitzen und mir das alles im Fernsehen angucken. Ich muss irgendetwas tun.«
    »Was willst du dort tun?«, fragte Anna, »doch nicht etwa Vögel putzen?« Als Meiners und sie sich vor mehr als zwei Jahren kennengelernt hatten, hatte er ihr einen ziemlich zynischen Vortrag über die ökologische Nutzlosigkeit der Seevögel-Säuberungs-Aktionen von Greenpeace gehalten. Jetzt drehte er sich verdrossen zu ihr um und schien zum ersten Mal wirklich ärgerlich zu sein.
    »Ja, wenn es sein muss, auch Vögel putzen! Vor allem aber habe ich dort Freunde, die wahrscheinlich existenziell ruiniert sind und Hilfe brauchen.«
    »Tut mir leid«, sagte Anna betreten, »das war saublöd von mir. Nimmst du mich trotzdem mit?«
    Meiners nickte und sah mich an.
    »Ist das okay, wenn Elena bei dir bleibt und wir nach Fischland-Darß hochfahren?«
    »Klar«, sagte ich, »mit Winter werde ich schon fertig!«
    Anna hob die Augenbrauen und funkelte mich ärgerlich an.
    »Das viele Salzwasser hat deinem messerscharfen Verstand nichts anhaben können, nicht wahr? Unterschätz den Typen bloß nicht. Der ist gerissener als Geldorf, und wenn er kommt, wird er die richtig bösen Bullen aus Hamburg mitbringen. Auf jeden Fall nimmt er die ganze Sache sehr ernst.«
    »Woher weißt du das?«
    »Er hat zwei bewaffnete Polizisten vor deiner Zimmertür postiert. Keiner raus, keiner rein!«

Zweiunddreißig
    16. September
    D
    ie Chefarztvisite am nächsten Morgen war ein ebenso beeindruckendes wie deprimierendes Ereignis. Dr. med. Griefahn, ein magerer Endfünfziger mit einem scharf geschnittenen Raubvogelgesicht, war mit seinem ganzen Gefolge ohne anzuklopfen in mein Zimmer gestürmt, hatte mich mit einem knappen Kopfnicken begrüßt und mit einer entsprechenden Bewegung des

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