Moerderische Fracht
verschränkte die Arme vor der Brust und starrte mich aus schmalen Augen an.
»Schauen Sie«, sagte er, »ich werde dauernd angelogen. Das ist so, wenn man Bulle ist. Die Leute finden es normal, die Polizei zu belügen. Große Gangster, kleine Ganoven, Seeleute und Hafennutten, alle lügen mich an, und sogar meine Töchter finden nichts dabei. Man gewöhnt sich daran. Aber Sie – Sie schaffen es, mich zu ärgern! Weil ich nämlich glaube, dass Sie das abgefeimteste Lügenmaul sind, das mir in den letzten zehn Jahren in die Quere gekommen ist. Ich kann es kaum fassen, dass Geldorf Ihnen nicht den Hals umgedreht hat!«
»Geldorf hatte seine Gründe! Aber was soll denn das Gerede. Wie man unschwer erkennen kann, bin ich hier das Opfer!«
»Ja! Fragt sich bloß, warum? Ich gehe davon aus, dass Sie das ganz genau wissen. Glauben Sie wirklich, ein Belgier und zwei Skinheads mit Elektroschocker und Rollstuhl fahren gemütlich durch Cuxhaven und suchen sich ein zufälliges Opfer aus? Das war alles sorgfältig geplant. Der ganze Überfall konnte nur funktionieren, wenn man Sie allein erwischte. Also hat man Sie beobachtet und gewartet, bis Frau Bakarova aus dem Haus war. Die leere Werkshalle, in der man Sie tagsüber versteckt hat, müssen sie ebenfalls vorher ausgekundschaftet haben. Und wahrscheinlich haben sie einen Einheimischen bestochen, der ihnen Zugang zu der Halle verschafft hat. Interessant sind außerdem die Misshandlungen. Dass Glatzköpfe Leute zusammentreten, kommt ja leider häufiger vor. Jemandem allerdings mit einem Schlagring das Gesicht zu demolieren, ist ein Akt maximaler, aber kalkulierter Wut. So ein Ding hat man ja nicht einfach so dabei. Und dann die Inszenierung mit dem Rollstuhl im Watt. Was für ein Aufwand! Was da geschehen ist, Herr Dr. Nyström, war eine Beziehungstat. Ein Verbrechen, bei dem Täter und Opfer sich kannten. Wenn man von den beiden Glatzen mal absieht, die offenbar Randfiguren waren, ist also entweder der Belgier jemand, den Sie kennen, oder aber es war noch jemand dabei, der einen Grund gehabt hat, Ihnen das anzutun, und den Sie bisher bewusst verschwiegen haben.«
Winter machte eine schöpferische Pause und gab mir Gelegenheit, seinen kleinen Vortrag zu verdauen. Es fiel mir zunehmend schwer, mich zu konzentrieren. Meine Gesichtsmuskeln schmerzten, und das Sprechen wurde immer anstrengender. Anna hatte recht. Winter war gerissen. Und er war noch nicht fertig.
»Bleibt also die Frage, warum Sie nicht alles tun, um uns zu helfen, die Täter möglichst schnell zu fassen. Vielleicht wollen Sie gar nicht, dass wir mit denen sprechen. Weil Sie nicht wollen, dass wir den Grund dieser Tat erfahren. Möglicherweise haben Sie ja selbst etwas getan, das diesen Racheakt heraufbeschworen hat. Und denken, dass das Ihre Privatangelegenheit ist, etwa so wie die Sache im Zug.«
Winter hatte sich in Rage geredet, sein Ton war von Satz zu Satz schärfer geworden. Es war Zeit, das Ganze abzubrechen.
»Tut mir leid«, sagte ich, »wir müssen das hier vertagen. Ich kann nicht mehr. Die Wirkung der Schmerzmittel lässt nach, ich muss mich ausruhen! Bitte gehen Sie!«
»Von hier aus machen Sie eigentlich einen ziemlich munteren Eindruck. Also jedenfalls nicht schlechter als noch vor dreißig Minuten. Was Sie jetzt herausschinden, ist ein Aufschub, nicht mehr. Ich hatte Ihnen ja schon bei unserem ersten Gespräch gesagt, dass das nur das Vorgeplänkel war. In Hamburg gibts einen Hauptkommissar Born. Er sagt, er kennt Sie. Born war Geldorfs Partner und wohl so eine Art Ziehsohn. Als ich ihm erzählt habe, dass Sie meiner Ansicht nach Informationen hinsichtlich Geldorfs Ermordung zurückhalten, ist er ausgerastet. Er kommt morgen mit ein paar Kollegen aus Hamburg. Freunde von Geldorf. Na ja, Sie wissen schon, Großstadtbullen halt. Ich habe ihm gesagt, dass Sie hier so schnell nicht weglaufen.«
Ich drückte auf den Klingelknopf, und erstaunlicherweise erschien augenblicklich eine Schwester im Türrahmen.
»Hauptkommissar Winter möchte gehen!«, sagte ich, aber der schüttelte den Kopf und blieb einfach sitzen. Die Krankenschwester verschwand wieder, ließ die Zimmertür jedoch offen.
»Es gibt da noch einen Aspekt, der mir die ganze Zeit durch den Kopf geht. Der Rollstuhl spielte offensichtlich bei dem Anschlag eine zentrale Rolle, doch die Täter konnten wohl kaum voraussehen, dass an diesem Abend Niedrigwasser sein würde. Ich glaube, dass der Angriff auf Sie sehr sorgfältig geplant
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