Moerderische Fracht
Zeigefingers seine Mannschaft im Halbkreis um mein Bett herum angeordnet. Während er meinen Befund erläuterte, ohne mich dabei auch nur eines Blickes zu würdigen, hatte eine seiner unglücklichen Assistentinnen die Röntgenbilder fallen lassen, was Griefahn zu der Bemerkung veranlasste, dass man wohl kaum eine Zukunft im OP hatte, wenn man noch nicht einmal eine Akte festhalten konnte. Er widmete sich noch ein wenig der Frage, ob die körperlichen Belastungen in der Chirurgie für Frauen überhaupt das Richtige waren, als es an der Tür klopfte. Durch die mich umgebenden Weißkittel sah ich, wie sie einen Spalt geöffnet wurde und jemand seinen Kopf hereinsteckte.
»Entschuldigung«, sagte Hauptkommissar Winter, »brauchen Sie noch lange?«
Griefahns Vogelkopf ruckte herum, und er schien tatsächlich einen Augenblick sprachlos zu sein.
»Wer sind Sie denn?«, fragte er schließlich.
»Polizei«, sagte Winter, »und Sie?«
»Zwei Minuten noch«, erwiderte Dr. Griefahn und sah mich zum ersten Mal richtig an.
»Alles gut gelaufen bei Ihnen! In sieben Tagen sind Sie hier raus!«
»Zu Befehl!«, sagte ich.
Mit einem verständnislosen Blick drehte sich Griefahn auf dem Absatz um und rauschte mit dem ganzen Tross hinaus.
Dafür kam einen Augenblick später Hauptkommissar Winter herein. Ich hatte nach Griefahns Abgang für einen kurzen Augenblick das Gefühl gehabt, dass der Vormittag unangenehmer nicht mehr werden konnte. Das war ein Irrtum.
Dreiunddreißig
M
oin, moin«, sagte Winter, aber der gemütliche norddeutsche Universalgruß passte nicht zu ihm. An Hauptkommissar Winter war überhaupt nichts Gemütliches, und ich konnte mir außer Amtsdeutsch auch keine Mundart vorstellen, die zu ihm gepasst hätte. Er trug einen hässlichen sandfarbenen Anzug und ein braunes Polohemd ohne Krawatte. Wieder fiel mir auf, dass sein Gesicht beinahe völlig ohne Falten war. Vor allem ohne Lachfalten. Seine ganze Erscheinung strahlte eine offensive Humorlosigkeit aus. Er zog einen Stuhl heran, setzte sich neben mein Bett und schlug die Beine übereinander. Versunken betrachtete er die Aufschläge seiner Bundfaltenhose und schien intensiv nachzudenken. Schließlich sah er zu mir auf.
»Wie geht es Ihnen?«, fragte er der Höflichkeit halber.
»Machen Sie es kurz, die Visite hat mich erschöpft.«
»Gut, erzählen Sie mal, was passiert ist!«
Winter holte aus seiner Tasche ein kleines Aufnahmegerät, kaum größer als eine Zigarettenschachtel, und stellte es auf meinen Nachttisch.
»Da reinsprechen«, sagte er.
Also erzählte ich ihm die ganze Geschichte, ließ allerdings Morisaitte und seine Motive aus, was der Sache natürlich den Anstrich einer absoluten Wahnsinnstat gab. Winter schüttelte dementsprechend ungläubig den Kopf.
»Sie sagen, es waren drei Männer? Nicht mehr?«
»Nein!«
»Und der erste Mann, der mit dem Elektroschocker, hatte einen holländischen Akzent?«
»Könnte auch Flämisch gewesen sein.«
»Ist das nicht das Gleiche?«
»Für die Flamen nicht.«
»Egal! Dieser Mann hat Sie also mit einem Elektroschockgerät angegriffen und anschließend mit einem Van in eine leer stehende Werkhalle gebracht?«
»Ja!«
»Konnten Sie das Kennzeichen von dem Van sehen?«
»Nein!«
»Die Farbe?«
»Schwarz.«
»Und die anderen beiden Typen waren Skinheads?«
»Ich weiß es nicht. Sie hatten jedenfalls Glatzen und Springerstiefel. Gesprochen haben sie nicht.«
»Sie denken, dass in dieser Werkhalle, in der Sie eingesperrt waren, früher Boote gebaut wurden?«
»Ja! Segelboote und Jachten! In diesem abgetrennten Büro hingen Fotos und Konstruktionspläne an den Wänden. Eine der abgebildeten Jachten hatte angeblich sogar mal am America’s Cup teilgenommen.«
»Damit kann ich vielleicht etwas anfangen. Die Kapitän-Alexander-Straße käme infrage. Kleine Schiffswerften, Bootsbaubetriebe und Bootshallen. Es gibt dort einige leer stehende Objekte, auf die Ihre Beschreibung zutrifft. Es müsste sich zudem herausfinden lassen, ob in Cuxhaven wirklich einmal eine Jacht von diesem Format gebaut wurde, und wenn ja, wo. Ich kann es mir allerdings nicht vorstellen. Sie würden die Räumlichkeiten wiedererkennen, wenn wir sie finden?«
»Ja!«
»Und die Männer auch?«
»Sicher!«
»Die Männer, die Sie so schrecklich zusammengeschlagen haben und die für alle Fälle schon mal einen Rollstuhl dabeihatten. Für einen Ausflug ins Watt?«
»Was soll denn der aasige Tonfall?«
Winter lehnte sich zurück,
Weitere Kostenlose Bücher