Moerderische Idylle
gestohlen worden war, wirkte ebenfalls ein wenig seltsam, wenn wir Zeitpunkt und Umstände in Betracht ziehen. Wenn es jemand gestohlen hatte, warum hatte dieser Jemand dann nur zweimal damit telefoniert und war außerdem einmal davon angeblich aus Versehen bei der Nummer gelandet, die die Mutter des Opfers einige Jahre zuvor benutzt hatte? Telefondiebe waren sonst nie so zurückhaltend, mutmaßliche Täter dagegen schienen auffällig oft Opfer von Verbrechen zu werden, bei denen die unbekannten Verbrecher sie aus irgendeinem Grund von Gegenständen befreiten, die ansonsten überaus peinlich werden könnten für sie.
Dann war da auch noch das gestohlene Auto. Das ließ sich direkt mit dem gesuchten Täter in Verbindung bringen. Bengt Mänsson hatte zwar mit dem Auto nichts zu tun, aber er war offenbar der biologische Vater der Enkelin des Autobesitzers, und wenn es denn stimmte, dass die zweiundneunzig Jahre alte Zeugin gesehen hatte, was sie gesehen haben wollte, dann war es der selbstverständliche nächste Schritt der Ermittlungsarbeit, ihr Fotos vorzulegen, unter denen auch eins von Bengt Mänsson war.
Je schneller, desto besser, und hoffentlich geht sie nicht ebenso früh zu Bett, wie sie aufsteht, dachte Lewin.
Zuerst sprach er mit Eva Sandström, die versprach, sich sofort um die praktischen Angelegenheiten zu kümmern, danach mit Anna Sandberg. Erstens hatte sie diese Zeugin ja gefunden, außerdem hatte er das Gefühl, dass gerade sie auf andere Gedanken gebracht werden musste, und drittens hatte in Abwesenheit von Olsson und Bäckström schließlich er zu bestimmen.
»Ich habe das Gefühl, dass du ganz recht hast«, sagte Anna Sandberg, die ebenso plötzlich keinen Gedanken mehr an ihr häusliches Chaos zu verschwenden schien.
»Das wird sich ja ziemlich bald herausstellen«, sagte Lewin.
»Ja sicher. Das ist er. Der Sohn, meine ich. Das sag ich doch die ganze Zeit«, sagte die zweiundneunzig Jahre alte Zeugin eine Stunde später, als sie an ihrem Küchentisch saßen und sie auf das Foto von Bengt Mänsson tippte.
»Wie dieser Errol Flynn, der in den vielen Seeräuberfilmen mitgespielt hat, nur ohne Schnurrbart«, erklärte die Zeugin. »Der sieht ihm doch ungeheuer ähnlich? Aber wieso um alles in der Welt hat der Vater seinen eigenen Sohn verleugnet«, fügte sie plötzlich hinzu. »Ist es vielleicht ein uneheliches Kind?«
Nicht Sohn, sondern Schwiegersohn, erklärte Lewin so pädagogisch er konnte. In dieser modernen Bedeutung, die für die derzeitige schwedische Gesellschaft galt, und wie immer man das einer alleinstehenden Dame von zweiundneunzig Jahren erklären sollte. Die noch dazu aus Smäland kam, dachte er.
»Ja, aber das erklärt dann doch alles«, stellte die Zeugin fest, sowie Lewin seine Erklärung beendet hatte. »Ich weiß nicht, wie oft ich ihn mit dem Kind und dem Kinderwagen gesehen habe.«
Was einige Jahre her sein dürfte, dachte Lewin. Was immer das für eine Rolle spielt, wenn man selbst auf die hundert zugeht.
»Dieser blaue Kaschmirpullover«, sagte Anna Sandberg plötzlich, als sie im Auto saßen und zur Wache zurückfuhren. »Plötzlich stelle ich mir vor, dass es genau die Art von Pullover ist, die ein Flugkapitän vielleicht auf seinen vielen Auslandsreisen kauft.«
»Keine dumme Idee«, stimmte Lewin zu, denn er war schon auf diesen Gedanken gekommen, noch ehe ihre Zeugin auf das Foto von Bengt Mänsson getippt hatte. Lewin hätte das Kollegin Sandberg natürlich nicht erzählt. Das wäre doch unverschämt und absolut überflüssig, dachte er.
»Was sagst du dazu, wenn wir zu ihm nach Hause fahren und ihm ein paar Bilder von unseren verschiedenen Pullovern zeigen und fragen, ob er so einen gekauft oder vielleicht verschenkt hat«, fragte Sandberg, die ziemlich tatendurstig wirkte.
»Natürlich werden wir das tun«, sagte Lewin. »Aber zuerst tun wir etwas anderes.«
»Keine schlafenden Bären wecken«, sagte Sandberg. »Jedenfalls nicht zu früh.«
»Genau«, sagte Lewin. »Zuerst werden wir so viel über Mänsson in Erfahrung bringen wie möglich, ohne jemanden fragen zu müssen, der ihm das vielleicht verrät.«
75
Bäckström hatte offenbar beschlossen, bis zur letzten Stunde durchzuhalten, weshalb Lewin glaubte, dass ihm keine Wahl blieb. Egal was passiert war, er musste ihn informieren. Da die Zeugin Mänsson identifiziert hatte, war hier nicht mehr die Rede von unwahrscheinlichen Zusammentreffen oder Gedankenspinnereien. Und
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