Moerderische Idylle
alte Haut, dachte Bäckström, der selbst zehn Jahre älter war.
Ihre eigene Krisentherapeutin, die staatlich geprüfte Psychologin und Psychotherapeutin, hieß Lilian Olsson und brauchte, was niemanden überraschen konnte, für ihre Vorstellung länger. Da sie aufs Haar Bäckströms Vorstellungen entsprach, eine kleine magere Blondine, die mindestens vierzig verregnete Herbste auf dem Buckel hatte, war zumindest er nicht überrascht.
»Und ich heiße also Lilian Olsson… aber alle, die mich kennen, nennen mich einfach Lo, und ich hoffe, ihr werdet das auch tun… ich bin also staatlich geprüfte Psychologin und Psychotherapeutin… und was macht so eine wie ich, das fragen sich hier sicher viele«, fügte Lo hinzu. »Ich bin also Psychologin … ich bin Therapeutin… ich halte Vorlesungen und Kurse ab… ich arbeite als Beraterin… und in meiner Freizeit … engagiere ich mich in vielen Hilfsorganisationen… dem Notruf für vergewaltigte Frauen… dem Notruf für misshandelnde Männer… dem Notruf für Opfer von Gewalt… und im Moment schreibe ich außerdem ein Buch… und die meisten, die hier sitzen… es ist ganz okay, wenn man sich nicht wohl-‘fühlt… viele von uns machen einen sensiblen, unsicheren, durchaus krisennahen Eindruck… während andere sich in Machodenken, Schweigen und Verleugnung flüchten… und noch andere missbrauchen Alkohol und Sex… und sich und ihre Mitmenschen… viele von uns haben Essstörungen… wir sind alle Mitmenschen… wir müssen bejahen… wir müssen uns unserer selbst bewusst werden… wir müssen den Schritt machen… müssen uns von allem hemmenden und niederdrückenden Gepäck befreien… wir müssen es wagen, unsere Schwäche zu zeigen… es wagen, um Hilfe zu rufen… es wagen, den Schritt aus allem hinaus zu machen… darum geht es hier im Grunde… ganz einfach um den Befreiungsprozess… so einfach ist es eigentlich… also ist alles im Grunde schlicht und selbstverständlich. Und meine Tür steht immer für euch offen«, endete Lo und ließ ihr mildes Lächeln alle und jeden im Raum umfangen.
Blablabla… blaha, dachte Bäckström, setzte sich auf seinem Stuhl gerade und schaute verstohlen auf seine Armbanduhr. Mehr als zwanzig Minuten der knapp bemessenen und kostbaren Zeit der Ermittlertruppe waren schon in Rauch aufgegangen, nur weil eine weitere Idiotin fast eine Viertelstunde brauchte, um mitzuteilen, dass auch ihre Tür sperrangelweit offen stand, dachte er.
»Nun gut«, sagte Bäckström, sowie sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Dann können wir anderen vielleicht versuchen, etwas zu schaffen. Wir haben einen miesen Irren, der frei herumläuft, und den müssen wir in den Knast stecken. Je eher, desto besser.« Noch besser, wir kochen Leim aus dem Arsch, dachte er. Was er aber nicht sagte. Das wusste doch ohnehin jeder richtige Polizist. Ohne dass man es ihm unter die Nase reiben musste, und er hatte schon während des Vortrags der Frau Krisentherapeutin zwei jüngere Talente entdeckt, die, wenn er nach ihrem Mienenspiel gehen durfte, einen überaus verheißungsvollen Eindruck machten. Vielleicht gibt es hier im Saal sogar einen angehenden Bäckström, dachte Bäckström. So unglaublich das auch klingen mochte.
Dann geht’s los«, sagte Bäckström. Beugte sich über das Querende des langen Tisches, an dem er saß, stützte beide Unterarme auf und schob das Kinn fast so weit vor, als wäre er der Chef der gesamten Kriminalpolizei von Schweden.
»Ich dachte, wir könnten uns erst einmal über die Lage abstimmen«, sagte er dann. »Was wissen wir über das Opfer und darüber, was es so gemacht hat. Bisher«, fügte er hinzu.
Ihr Mordopfer hieß Linda Wallin. Sie war zwanzig Jahre alt und wäre eine Woche nach dem Mord einundzwanzig geworden. Im Herbst hätte sie ihr drittes Semester der Polizeiausbildung in Växjö antreten sollen. Sie war eins zweiundsiebzig groß und wog zweiundfünfzig Kilo. Natürliches Blond, mit kurz geschnittenen Haaren und blauen Augen. Fesches Mädel, falls man auf diesen mageren, durchtrainierten Typ steht, dachte Bäckström, als er sich ihr Foto ansah. Eine vergrößerte Kopie ihres Ausweises von der Polizeischule zeigte eine offene und lächelnde Linda, die direkt in die Kamera blickte, konzentriert auf den Augenblick und voller Erwartungen an das Leben, das vor ihr lag. Wie dieser Sommer zum Beispiel, in dem sie bei der Polizei von Växjö eine Vertretungsstelle gehabt hatte. Sie hatte zwar
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