Mörderische Kaiser Route
großen Loch scheuchten uns die Hinweisschilder der Kaiser-Route nicht in Richtung Aachen, sondern südwärts über Bergheim, die Erft entlang zwischen Horrem und Sindorf bis nach Erftstadt. Erst dort ging es im scharfen Knick nach rechts durch Lechenich und weiter ins freie Feld.
Viele der Ackerflächen waren schon abgeerntet. Nur den Zuckerrüben war noch eine Schonfrist gewährt. Sie ließen die blassgrünen Blätter hängen, was Dieter zu der Bemerkung verleitete, hier müsse es bald regnen. In Anbetracht unserer ungeschützten Radelei fügte er schnell hinzu: „Aber natürlich erst dann, wenn wir zu Hause sind.“
Der Hinweis auf unser Zuhause schien ihn zu beflügeln, denn er schlug ein höheres Tempo ein.
Ich folgte nachdenklich meinem Freund. Zuhause, das bedeutete für Dieter gewiss etwas anderes als für mich. Er war in Aachen zu Hause, dort, und nirgendwo sonst auf dieser Welt. Bei mir war das anders. ,Wo war ich eigentlich zu Hause?’, dachte ich mir während der monotonen Fahrt durch die offene Landschaft.
Etwa in Aachen, etwa bei meinen Eltern, etwa bei Sabine? Oder etwa doch in Düren, wo ich mit meiner Frau Inga so lange und so harmonisch zusammengelebt hatte? Nörvenich,
Irresheim, Jakobwüllesheim, Stockheim, Gut Stepprath, das waren die Namen, die mir immer noch so vertraut waren. Sie zu lesen, machte mich zufrieden. Selbstverständlich kam ich nicht umhin, Dieter die angebliche Entstehung des Namens Jakobwüllesheim zu erklären.
„Der Jakob war der Mann von Frau Wüllesheim“, sagte ich ihm mit voller Überzeugung. „Sie lebten in Frauwüllesheim, bis er Knatsch mit ihr bekam. Da ist Jakob ausgezogen und hat sich wenige Kilometer weiter angesiedelt.“ Dieters skeptischem Blick entnahm ich, dass er mir nicht glauben wollte.
Ich nutzte seine Verwirrung und bog vor Stepprath von der Kaiser-Route ab in den Dürener Stadtwald, ohne dass er es mitbekam.
„Man sieht dir richtig an, dass du daheim bist“, sagte Dieter.
Er hatte mich beobachtet, wie ich mit stetem Blick umherschaute und die Landschaft in mich aufsog.
„Aber kannst du mir verraten, was die Kaiser-Route mit Düren zu tun hat?“
Düren, das war für einen waschechten Öcher wie Dieter die letzte Provinzstadt und würde es wohl immer bleiben. Es war noch gar nicht so lange her, dass ein Dürener Bürgermeister in offizieller Mission zu einer Veranstaltung in Aachen eingeladen worden war.
Das war das erste Mal nach jahrzehntelanger Abstinenz gewesen, dass sich ein Aachener Oberbürgermeister dazu durchringen konnte, seinen Kollegen aus Düren in der Kaiserstadt zu begrüßen. Aber vielleicht lag die Verbrüderung ja auch nur daran, dass beide das gleiche Parteibuch hatten.
Der Gerechtigkeit wegen muss ich allerdings auch sagen, dass umgekehrt Aachen für einen eingefleischten Dürener, wie ich es damals gewesen bin, das Ende oder der Anfang von Holland war. Die Aachener hielten sich zwar noch an ihrem
Kaiser und dem CHIO fest und vielleicht auch noch am Karlspreis und am Orden wider den tierischen Ernst, damit hatte es sich aber auch schon aus Dürener Sicht, und sie versuchten, durch das ständige Verweisen auf ihre Größe von ihrer Bedeutungslosigkeit abzulenken.
Früher konnte ich Dieter auch noch mit abfälligen Bemerkungen über die Alemanniakicker ärgern. Mit Sprüchen wie „dass das Team nur noch unterklassig herumkrebse“ oder „dass es von großer Weitsicht und einem ausgeprägten Realitätssinn auswärtiger Investoren spräche, wenn sie den Tivoli abreißen wollten, um dort Häuser zu bauen“ und „dass Aachen sowieso kein ausgeprägtes Fußballstadion mehr brauche, da der Zug in die Spitzenliga für alle Zeit abgefahren war“, brachte ich ihn regelmäßig zur Weißglut. Doch nun nach dem Wiederaufstieg in die zweite Bundesliga hatte er bei diesem Thema Oberwasser.
Dennoch fielen mir genügend Punkte ein, um seine Aachener Seele zu erschüttern und er musste sie sich jetzt anhören, als er sich so abfällig über Düren äußerte. Das sei keine Antwort auf seine Frage, versuchte er zu kontern.
„Was hat Düren mit Kaiser Karl zu tun?“ Glücklicherweise hatte ich die Beschreibung dieses Teilstücks bei Düren im Radwanderführer aufmerksam gelesen. So konnte ich bestens mit meinem Wissen prahlen und Dieter belehren.
„Düren war einer der wichtigsten Orte der Karolinger. Hier gab es schon 748 eine Bischofssynode. Um 775 wurde erstmalig ein Pfalzkapelle genannt, das muss um die Zeit gewesen sein,
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