Moerderische Kuesse
zurück. Sie biss die Zähne zusammen, um nicht laut aufzustöhnen, und kämpfte die brennenden Tränen zurück. Es wäre bestimmt unpassend, wenn »Charles« plötzlich zu weinen anfing.
Sie alle – sie und Averill und Tina – hatten oft geflucht, weil Zia jede einzelne Bazille aufzuschnappen schien, die irgendwo unterwegs war. Im Alter von zehn Jahren hatte sie schon zwei Lungenentzündungen hinter sich. Ob ihr Immunsystem durch die Entbehrungen in ihren ersten Lebenswochen so geschwächt worden war oder ob sie einfach nur besonderes Pech hatte, tat nichts zur Sache. Jeden Winter hatte Zia mehrmals krank im Bett gelegen, und jeden Sommer hatte sie sich
mindestens
eine
Erkältung
eingefangen,
die
unausweichlich eine Bronchitis nach sich gezogen hatte. Sie hätte sich mit Sicherheit an der Grippe infiziert, die Dr.
Giordano auf die Welt loslassen wollte, und wie hoch wäre wohl die Wahrscheinlichkeit gewesen, dass sie zu den Unglücklichen gehörte, die daran sterben mussten?
Natürlich hatten Averill und Tina alles darangesetzt, um das zu verhindern, aber sie hatten dadurch eine Lawine von Ereignissen ausgelöst, die letztendlich genau zu dem Ergebnis geführt hatte, das sie um jeden Preis vermeiden wollten. Was für eine bittere Ironie.
Dem stechenden Schmerz folgte sofort heißer Hass, unter dessen Wucht sie zu zittern begann. Sie holte abrupt Luft und versuchte, ihre Emotionen wieder unter Kontrolle zu bekommen, ehe sie etwas Dummes tat und sie und Swain aufflogen.
Damone, der immer noch neben ihr ging, sah sie fragend an.
Lily versuchte, ihre Reaktion zu überspielen, indem sie wieder den Kopf zur Seite drehte und nochmals hustete. Sie hoffte nur, dass das Latex unter ihrem Kinn dieser dauernden Husterei standhielt. Und vor allem hoffte sie, dass Damone keinen Verdacht schöpfte, weil sie zwar einen Schnauzer, aber nicht einmal den Hauch eines Bartschattens auf den Wangen trug.
Sie gingen einen langen Korridor hinunter und bogen rechts ab. »Das ist mein Büro.« Dr. Giordano deutete auf eine Tür, auf der in goldenen Lettern sein Name stand und die durch ein weiteres Tastenfeld gesichert war. »Direkt daneben befindet sich das Hauptlabor, das ich Ihnen gern zeigen würde. Dort wird die Hauptarbeit erledigt. Monsieur Fournier, Sie sollten lieber draußen warten.«
Lily nickte. Swain nahm ihr ein Notizbuch und einen Phasenprüfer ab und versprach: »Es wird nicht lange dauern.«
Sie lehnte sich an die Wand, wie es Männer gern taten, und wartete so, die Geduld in Person, während die drei Männer im Labor verschwanden. Sie war nur froh, dass Damone ihr nicht Gesellschaft leisten wollte.
Nach nicht einmal zehn Minuten waren sie wieder da, Swain kritzelte Notizen. Sie hoffte, dass er seinen praktischen kleinen Recorder eingeschaltet hatte, als Dr. Giordano die Zahlenkombination in das Tastenfeld eingegeben hatte, denn diesmal hatte der Doktor darauf geachtet, die Tasten während der Eingabe mit seinem Körper abzuschirmen. Sie würden in das Labor und in sein Büro müssen, um Sprengsätze anzubringen.
»Charles«, meinte Swain gedankenversunken, »bitte prüfen Sie nachher noch im Büro des Doktors den GF‐Modulator und den 365er MQ‐Detektor.«
»Wie Sie wünschen«, krächzte Lily und schrieb dabei gehorsam mit. Sie hatte keine Ahnung, was ein GF‐Modulator sein sollte oder ob so ein Ding überhaupt existierte, und wenn sie irgendwas mit MQ entdeckte, dann nur den Mega‐Quark, der aus Swains Mund zu kommen schien, wenn er hier seine Weisheiten zum Besten gab. Trotzdem klang die Anweisung höchst beeindruckend und gab ihr einen Vorwand, in Dr.
Giordanos Büro zu verschwinden.
So war es auf der ganzen Tour; immer wenn sie einen Raum
»inspizierten«, den Swain auf ihre Hitliste gesetzt hatte, spulte er eine Litanei von Instruktionen ab, damit entweder er selbst oder Lily noch mal allein an diesen Ort zurückkehren konnte.
Nicht ein einziges Mal wiederholte er sich dabei, wahrscheinlich weil er sich selbst nicht merken konnte, welche Zahlen und Abkürzungen er jeweils verwendet hatte. Dr.
Giordano war sichtlich beeindruckt von Swains umfassendem Wissen, Damone hingegen wirkte unangenehm verschlossen.
Lily hatte den Verdacht, dass man Damone nur schwer ein X
für ein U vormachen konnte, was zusätzlich unterstrich, wie sehr er Georges Blanc vertrauen musste, wenn er dessen Empfehlung folgte, ohne eigene Erkundungen einzuziehen.
Schließlich waren sie fertig, und Swain lächelte
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