Mörderische Landschaften - Kriminelles aus dem Osten
bumsen.«
»Nein, Nico!« Blatzeck sprang auf und ging auf die Kommissarin zu. »Die Figur ist sensibler. Darf ich mal?«, fragte er Mosine Klipp, nahm ihre Hand und zog sie hoch. »Pierre ist wie sein Autor Philosoph, er weiß von der Unabänderlichkeit seiner Situation.« Der Regisseur umfasste die Kommissarin ganz zart, er berührte sie kaum. »Es ist eine tiefe Traurigkeit.«
Mosine suchte seinen Blick, aber Blatzek schaute ins Dunkel des Zuschauerraums.
»Es ist doch alles nur Theater. Ich habe Ihre Taille nicht einmal berührt.«
Mosine Klipp war keine eifrige Theatergängerin, sie ging hin und wieder mit Freunden mit, um einen geselligen Abend zu verbringen. Doch was eben mit ihr geschehen war, hatte nichts mit dem zu tun, was sie bisher auf der Bühne gesehen hatte. Es war, als würden die beiden Welten, die wirkliche und die ausgedachte, sich gegenseitig durchdringen. Und ihr war, als begriffe sie den Schmerz des Pierre besser als der Schauspieler Nico, der schon wieder diskutierte.
»Es kotzt mich an, dass ich ständig gegen mein Naturell spielen muss.« Er nahm das Gesicht der Schauspielerin in seine Hände und flüsterte: »Ich möchte so gern Ihren Atem spüren.«
»Ja, gut so Nico«, murmelte Blatzeck.
Die Schauspielerin hatte wieder diesen konzentrierten Blick und sprach: »Ich gäbe meine Seele dafür hin, einen Augenblick lang wieder zu leben.« Dann löste sie sich abrupt von Nico und schüttelte den Kopf. »Nee, Kinders entschuldigt, ich muss dauernd an die Kleine da unten denken.«
Blatzek sah das ein. Er nahm sein Buch und rief auf die Bühne hinauf: »Ich muss mich entschuldigen, dass ich euch an einem solchen Tag …« Er brach ab und wandte sich der Kommissarin zu. »Wen wollen Sie eigentlich sprechen?«
»Sie«, gab sie zur Antwort.
»Bitte.« Er setzte sich ein paar Sitze weiter.
Sie musste sich darauf konzentrieren, nach dem Theaterstück zu dem Fall zurückzukehren. »Die Untersuchung der Toten hat bisher keine neuen Erkenntnisse ergeben. Kein Gift oder ähnliche Einwirkungen. Das Urteil des Sachverständigen lautet: Unfall oder Mord.«
Sein Mund verhärtete sich bei ihren letzten Worten. »Unmöglich, wer sollte so etwas tun?«
Mosine Klipp holte tief Luft. »Das wollte ich Sie fragen.«
Blatzeck wirkte ungehalten. »Niemand.«
So richtig haben die noch nicht begriffen, um was es hier geht, dachte die Kommissarin. »Erzählen Sie, wer war Ilona Schulz?«
»Eine Souffleuse. Eine gute Souffleuse. Und das Besondere an einer guten Souffleuse ist, dass man aus ihrem Mund zur rechten Zeit den rechten Text hört. Nix weiter.« Seine Falten auf der Stirn hatten sich vermehrt.
»Die Schlinge, die ihr das Genick gebrochen hat, war ein Seidenschal, ein gelber. Kennen Sie den?«
Blatzeck nickte. »Jetzt wollen Sie wissen, wo sie den her hatte. Von mir. Aber das hat keine Bedeutung für Ihre Ermittlungen. Es war ein Wichtelgeschenk. Und beim Wichtelgeschenk weiß der Schenker, wer es bekommt, aber der Beschenkte nicht, von wem es kommt.«
Mosine lächelte. »Aber wenn man will, kann man es rauskriegen.«
Blatzeck blieb faltenreich: »Wozu?«
Schwul ist er jedenfalls nicht, das spürte Mosine Klipp so sehr, dass es ihre Arbeit behinderte. »Eine letzte Frage, vorläufig. Die Versenkung, was stellt die im Stück dar?«
Der Regisseur nahm die Hände vor den Mund und schüttelte den Kopf. »Mein Gott, wissen Sie, was das ist? Die Tür vom Reich der Toten zum Reich der Lebenden. Die ist gestern gestorben.«
»Was?«, fragte die Kommissarin.
»Pardon, ich habe die Versenkung gestern gestrichen, weil ich sie nicht mehr brauche. Die Anweisung war offensichtlich noch nicht bis zur Technik vorgedrungen.«
»Oder jemand brauchte die Versenkung heute noch«, stellte Mosine Klipp fest. »Hatte sie einen Freund?«
»So was weiß ich nicht«, antwortete er.
»So was ist gut, was heißt – so was? Klatsch?«
Er nickte ihr zu und verschwand treppauf.
Mosine Klipp verließ den Saal und wartete am Bühnenausgang auf ihren Kollegen. Eine Pinnwand erregte ihr Interesse. Da hing ein Speiseplan. Mittwoch, also morgen, sollte es Hühnerfrikassee geben. »Geplatztes Huhn«, hatte ein Scherzkeks danebengekritzelt.
Ein weiterer Zettel besagte, welcher Schauspieler in welchem Stück welche Rolle spielte. »Das Spiel ist aus« hieß das Stück, aus dem sie eben die Szene gesehen hatte. Nach einem Roman von Jean Paul Sartre. Pierre – Nico Ponto und Eve – Susanne Bernstein. Regie
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