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Mörderische Landschaften - Kriminelles aus dem Osten

Mörderische Landschaften - Kriminelles aus dem Osten

Titel: Mörderische Landschaften - Kriminelles aus dem Osten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sutton Verlag GmbH
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Zeitzer Kinderwagen aufzudecken. Doch die Organe trauten der von ihnen verordneten Friedhofsruhe   – wir erinnern uns der Oma in der Urne   – nicht. Sie versuchten, noch gründlicher alle Spuren zu verwischen und abzulenken, indem sie ganz unverbindlich eine heitere Geschichte bei einem der Zusammenarbeit unverdächtigen Humoristen in Auftrag gaben. Die Geschichte hieß »Die Oma im Schlauchboot« und erschien in großer Auflage in einem Verlag für Humor und Satire. Fast jeder in der DDR groß Gewordene wird sich an sie erinnern.
    Und nun kommt das eigentlich Perfide. Wie weit der Arm dieser Unheil stiftenden Organisation reicht, wird an meinem letzten diesjährigen Unterauftrag deutlich. Der Gesamtauftrag liegt da, mit Unterschrift, Datum und Summe, und sollte mich frohgemut stimmen. Der Auftrag wurde vor ein paar Tagen ausgefertigt. Doch für die 52.   Woche, also das 53.   Blatt des überübernächsten Jahres, hat man mir ein unheilschwangeres Bild verordnet. Unheilschwanger nur für mich. Das Bild zeigt das Cover eines Buches. »Die Oma im Schlauchboot« lautet der Arbeitstitel für das Blatt. Die farbige Umschlagzeichnung eines gewissen U.   Forchner (U   für Unterleutnant?) zeigt ein Fantasieauto mit Dachgepäckträger, darauf ein Produkt eines Betriebes namens Pouch, in dem eine menschliche Figur versteckt zu sein scheint.
    Damit will man offensichtlich endgültig eine ernsthafte Aufarbeitung dieses unseligen Falles zunichte machen. Und ich soll der Erfüllungsgehilfe sein. Man hat mich ausgesucht, um mich noch einmal zu strafen, weil ich schon damals unbequem war und den Dissidenten Udo   U. Schwer kannte. Ich soll mit diesem Kalenderblatt meine widerständigen Ansichten von einst lächerlich machen.
    Doch diesmal werde ich meine Chance nutzen. Ich werde diesen soeben geschriebenen Text für die 52.   Woche abgeben. Man wird ihn mir auf 488   Zeichen zusammenstreichen, des bin ich gewiss. Aber derjenige, der meinen Text zensiert wie einst, der ihn verharmlost und seiner Brisanz entkleidet, der wird als Hintermann aller Vertauschungen, Vertuschungen, Morde und Schlauchbootdiebstähle kenntlich werden. Ich muss nun geduldig warten, bis mein Kalender zur Drucklegung kommt; vermutlich wird das aus Kostengründen in Tschechien geschehen   …

Ans Herz gefasst!
    VON BIRGIT HERKULA
     
    Wir hatten die Wende überlebt und heimwehkranke Rückkehrer aus dem Südwesten unseres neuen großen Landes aufgenommen. Noch immer saßen wir in denselben kleinen Büros und arbeiteten mit Computern statt Schreibmaschinen und nunmehr für die Verwaltung der Landeshauptstadt statt des Bezirkes. Wir fuhren zu Lehrgängen und lernten die neue deutsche Verwaltungssprache. In unserer Freizeit paukten wir an der Volkshochschule Englischvokabeln und vertrieben die kyrillischen Buchstaben der russischen Sprache aus unseren Köpfen.
    Wir fanden uns zur Sitzung am Montag 9.15   Uhr im Versammlungsraum ein, füllten Kaffeetassen und warteten auf den Abteilungsleiter. Er war ein schmaler, mittelgroßer Mann mit schütterem Haar und verwittertem Gesicht, der jeden Morgen eine halbe Stunde zu Fuß zur Arbeit und abends zurück nach Hause lief, kein Auto besaß und überhaupt nicht so recht wusste, was er mit der neuen Zeit anfangen sollte.
    Es war ihm schwer gefallen, unsere Arbeitsplätze zu beschreiben und plötzlich um Einstufungen und Personalstellen streiten zu müssen.
    Morgens stellte ich mein Auto auf dem Parkplatz an der Magdeburger Elbe ab, warf der Entenfamilie, die auf der Wiese am Flussrand umherwatschelte, ein paar Krumen alten Brotes zu und stapfte die ansteigende Straße zum Alten Markt hoch. Ich schlängelte mich zwischen Kisten durch, die Gemüseverkäufer und Strumpfhändler für ihre Stände herangeschafft hatten. Über uns thronte in seinem Denkmal Otto der Große als vergoldeter Reiter. Wenn ich dann das Rathaus betrat, um mich in eine Verwaltungsangestellte zu verwandeln, war das Büro des Abteilungsleiters schon von der Schreibtischlampe erhellt und abends leuchtete es immer noch, wenn ich im Dunklen zum Auto lief. Obwohl er nicht gern redete und sich in Gesprächen und Auseinandersetzungen eher wortkarg zurückhielt, schuf er doch in diesen langen Überstunden und mit seiner Beharrlichkeit den Erfolg.
    Einige der Kolleginnen waren freiwillig in die materielle Wunderwelt der freien Wirtschaft gegangen und verkauften Waschmittel, Staubsauger und Versicherungen. Wir, die wir nicht zum Verkaufen geboren

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