Mörderische Landschaften - Kriminelles aus dem Osten
glaube ich.« Ratze schmunzelt.
»Am schärfsten sind aber die Halsbänder«, wirft Peggy ein.
»Genau, die alte Klo-Kette!« Ratze grinst. »Meine Oma hat wie verrückt danach gesucht.«
»Hey, Rico ist auch nicht schlecht!«, ruft Regina und deutet auf ein weiteres Bild. »Er sieht aus wie Che Guevara!« Sie blättert die Seite um. »Hier habe ich ja gedacht, ich sehe nicht richtig …«
»Oh, wie peinlich!« Peggy schlägt die Hände vors Gesicht. »Das bin ja ich!«
»Aber hallo!« Ratze lacht. »Ich wusste ja gar nicht, dass du was mit Rico hattest.«
»Hatte ich ja auch nicht«, sagt Peggy errötend.
»Und wer ist das da, mit dem du knutschst?«, feixt Regina. »Das ist doch Rico!«
Rico grinst verlegen. »Das war doch nur eine kurze Geschichte.«
»Stimmt! Bald darauf warst du plötzlich wie vom Erdboden verschluckt«, erinnert sich Regina. »Genau wie Thomas.« Ihr Gesicht verfinstert sich.
Peggy sieht Rico durchdringend an. »Thomas. Den habe ich bis heute nicht wiederfinden können.« Ihr Blick wandert zu Regina, die schnell weiterblättert. »Du weißt doch was«, bohrt Peggy nach. »Ihr wart doch –«
»Lass das!«, geht Rico dazwischen. Dann holt er tief Luft. »Thomas und ich sind abgehauen. Wir haben im Sommer 89 in Zinnwald über die Grenze gemacht.« Er wirft einen Blick auf Regina, die ausdruckslos vor sich hin starrt. »Thomas ist weiter zur ungarischen Grenze und wollte über Österreich in den Westen.«
»Wusstest du davon?« Peggy sieht Regina argwöhnisch an. Die schüttelt nur den Kopf. »Und du?«, wendet sie sich an Rico.
»Ich bin in Prag in die BRD-Botschaft gegangen«, erzählt Rico. »Thomas war das zu langwierig. Na ja, und er hat ja recht behalten.« Rico kratzt sich nachdenklich am Kinn. »Es war schon tierisch voll und täglich kamen mehr Leute. Alle hatten Angst, dass die DDR auch die letzte Grenze noch dicht macht.«
»Wie lange warst du denn dort?«, fragt Ratze. »Wenn ich mich recht erinnere, durften doch damals erst im Oktober Leute aus Prag in den Westen …«
Rico nickt. »Irgendwann im August waren wir so viele, dass Zelte auf dem Gelände aufgeschlagen wurden. Erst war das sogar noch richtig witzig. Viele große Zelte, darunter sogar ein Schulzelt. Zum September gab es eine Schuleinführung mit Zuckertüten.« Rico lächelt unwillkürlich. »Und es gab Wettbewerbe, welches Zelt am besten kocht.« Er legt die Stirn in Falten. »Allerdings wurde dann das Wetter mies, es goss in Strömen, und wir campierten quasi im Schlamm. Als wir schließlich mehr als vierhundert Flüchtlinge waren, traten die DDR-Unterhändler in Aktion. Vogel und Gysi konnten damals echt über die Hälfte der Leute zurücklotsen in die DDR.« Er schüttelt bei der Erinnerung den Kopf. »Und trotzdem wurden es immer mehr. Man musste sogar viele Pflanzen aus dem Botschaftspark entfernen, um Platz zu schaffen. Die Stimmung kippte bald, und die Leute haben sich gegenseitig als Stasispitzel verdächtigt …«
»Echt?« Regina reißt die Augen weit auf. »Gab es denn wirklich Spitzel in der Botschaft?«
»Na klar«, sagt Peggy. »Gerade da! Ihr erinnert euch doch an die Montagsdemonstrationen. Da soll ein Viertel der Leute von der Stasi gewesen sein!« Sie mustert Ratze. »Du warst doch damals auch in Leipzig. Meinst du nicht auch, da waren viele Spitzel?«
Ratze nickt mit schiefem Grinsen. »Sicher, die haben immer und überall überwacht, dokumentiert und observiert, meist auch noch sich gegenseitig.« Er zieht eine amüsierte Fratze. »Ich glaube, das große Ziel war, dass endgültig jeder jeden bespitzelt, nach dem Schneeball-Prinzip, ein quasi selbstreferentielles System …« Er lacht spöttisch. »Rein strukturell gesehen gar nicht mal so doof. Ein bisschen wie Internet als Brettspiel!«
»Habt ihr denn tatsächlich Spitzel enttarnt?«, fragt Regina.
»Nein«, sagt Rico. »Allerdings ging das Gerücht, dass Stasileute Ausweise klauen, und angeblich sind wirklich Papiere verschwunden. Na ja, wenn Peggy recht hat, müsste ja jeder Vierte von der Stasi gewesen sein.«
»Klar, und einer von uns wäre dann rein rechnerisch auch ein Ex-Spitzel«, wirft Regina ein und zählt wie beim Auszählreim in die Runde. »Eins, zwei, drei, Spitzel, eins, zwei, drei, Spitzel, eins, zwei, drei …«
Peggy lacht laut auf. »Ich war jedenfalls im Herbst 89 zur Demo in Leipzig. Und Ratze hat mich völlig ignoriert!«
»Ich kann mich nicht erinnern«, erklärt Ratze nachdenklich.
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