Mörderische Landschaften - Kriminelles aus dem Osten
»Aber ehrlich gesagt ist das hier nicht mehr das, was ich all die Jahre für meine Heimat gehalten habe.«
»Stimmt, man kann wieder ordentlich durchatmen, muss nicht verwelktes Gemüse kaufen, und die Sterblichkeit ist enorm gesunken.« Ratze schmunzelt und wendet sich an Peggy. »Na, dann erzähl du doch mal ein bisschen aus Bautzen! Da waren wir doch vorhin stehen geblieben.«
Peggy lächelt. »Nun ja, zuerst war ich ziemlich frustriert. Wir haben ja da drin nichts erfahren. Und der Knast war hoffnungslos überfüllt. Ich bin verhört worden, immer und immer wieder, von Woche zu Woche.« Sie nippt an ihrem Wein. »Im Dezember gab es dann diese Amnestie für die Politischen, aber auch davon wussten wir drinnen ja nichts. Ich wurde bei Nacht und Nebel abgeholt und mit verbundenen Augen in ein Auto gesetzt.«
»Wie bitte?« Regina sieht sie entsetzt an.
»Ja«, bestätigt Peggy. »Mein erster Gedanke war: Jetzt werde ich erschossen. Aber dann wurde ich nur ewig lange durch die Gegend gefahren und schließlich am Stadtrand von Dresden aus dem Auto geworfen.« Sie schüttelt sich. »Es war sowas von schweinekalt! Danach lag ich drei Wochen mit einer Lungenentzündung im Bett.« Peggy zuckt die Achseln. »Und dann stand er immer wieder vor der Tür, der Offizier, der mich zuvor die ganze Zeit verhört hatte.«
»Es geht doch nichts über ein paar gute alte Hausbesuche«, bemerkt Ratze lakonisch. »Die Jungs hatten wohl einfach nicht mehr genug zu tun, was!«
Peggy lächelt versonnen. »Ein halbes Jahr später, im Sommer 90, haben wir dann geheiratet.«
»Was?«, fragt Regina ungläubig.
In diesem Moment öffnet sich die Balkontür und Peggys Mann kommt herein. »So, und hier ist die letzte Runde frisch vom Rost.« Er stellt zwei Platten auf den Tisch. »Ihr habt ja noch nicht viel gegessen!«
»Wir kommen vor lauter Gequatsche gar nicht zum Essen«, wirft Rico schnell ein und lässt sich von Peggy Wein nachschenken. »Aber der Wein ist schon mal sehr gut.«
Peggy reicht Holger ein Glas. »Schatz, gerade habe ich erzählt, wie wir uns damals kennen gelernt haben.«
»Ja, das waren harte Zeiten«, erinnert sich Holger freimütig. »Den Gedanken, dass alles umsonst gewesen sein sollte, konnte ich kaum ertragen.« Er schüttelt den Kopf. »Und dann auch noch die Kündigung, just zum 40. Jahrestag des MfS.« Er nimmt einen Schluck Wein. »Vorher musste ich noch meine gesamte Arbeit der letzten zehn Jahre vernichten. Stellt euch das mal vor! Dabei waren diese sogenannten Bürgerkomitees, die unsere Zentrale stürmten, voll von ›Inoffiziellen Mitarbeitern‹! Und die wollten doch nur an die Akten, um nicht als Spitzel enttarnt zu werden!«
»Ach, lass doch, Holger«, sagt Peggy und füllt Reginas und Ratzes Gläser.
»Nee«, entgegnet Holger. »Wenn man so lange mit der Quelle Mensch gearbeitet hat wie ich, kennt man sich aus.« Er wirft einen Blick in das aufgeschlagene Fotoalbum. »Den da zum Beispiel, den habe ich angeheuert. IM Karussell …« Er deutet auf das Bild, auf dem Ratze Luftgitarre spielt. »Mitte der 80er haben wir ihn verhaftet, weil er besoffen aus einem Kettenkarussell gekotzt hat. Eigentlich ein ganz vernünftiger Junge. Richtig guter Mann! Hat mich jahrelang prima über die Punks auf dem Laufenden gehalten.«
»Holger, da irrst du dich sicher!«, wirft Peggy energisch ein. »Das ist –«
»Ralph Degenhart«, unterbricht Holger. »Ich vergesse keinen Namen und kein Gesicht. In der Punk-Szene hieß er Ratze …«
In das angespannte Schweigen schrillt die Türklingel.
»Erwartest du noch jemanden, meine Gute?«, fragt Holger und macht sich, ohne ein Antwort abzuwarten, auf den Weg zur Wohnungstür.
Alle trinken schweigend. Ratze vermeidet jeglichen Blickkontakt, bis Peggy ihm auf die Schulter klopft. »Das ist ja witzig!«, ruft sie betont fröhlich. »Dann kennst du meinen Mann also schon länger als ich und hast gar nichts verraten!«
Ratze lacht trocken. »Ich habe nichts preisgegeben, ich habe nur Fehlinformationen verwaltet.«
Regina zieht die Augenbrauen hoch. »Klar, nichts anderes als, sagen wir mal, Öffentlichkeitsarbeit …«
»Inoffizielle Öffentlichkeitsarbeit!« Rico klingt spöttisch. »Außerdem war es ein wichtiger Beschäftigungsansatz, nicht wahr?«
»Wie meinst du das denn?«, fragt Regina.
»Autos verpesten die Umwelt, wir rasen uns zu Tode – aber die Arbeitsplätze! Werbung kotzt uns alle an, weil wir uns nur die Hucke volllügen
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