Moerderische Schaerennaechte
hielt ihm einen Zettel hin.
»Das hier ist seine Mobilnummer. Aber du wirst ihn jetzt nicht erreichen, erst gegen zwanzig Uhr schwedischer Zeit. Ich habe die Adresse des Hotels aufgeschrieben, in dem er übernachtet.«
»Okay. Danke für deine Hilfe.«
Es hatte eine knappe Stunde gedauert, Lebensmittel einzukaufen und nach der Ankunft zu Hause die Taschen der Jungs auszupacken. Jetzt waren die sauberen Sachen in der Schublade verstaut, und die Waschmaschine lief.
Nora griff nach dem Handy und kontrollierte, ob neue SMS gekommen waren, obwohl sie sich am Nachmittag hoch und heilig geschworen hatte, es nicht mehr zu tun.
Nichts.
Sie checkte den SMS-Eingang mindestens zum fünfzehnten Mal, aber sie konnte es einfach nicht lassen.
Sie wusste genau, dass Jonas in Bangkok war und dort den größten Teil der Woche bleiben würde. Aber ein Lebenszeichen könnte er ja trotzdem geben, dachte sie.
War ihre Nacht ein flüchtiges Abenteuer gewesen, eine Gelegenheit, die er genutzt hatte, als sie sich ergab? Wenn er sie nur nicht für eine verzweifelte Frischgetrennte hielt, die mit jedem ins Bett stieg. Schon bei dem bloßen Gedanken wurde ihr übel.
Nora legte das Handy zurück in die Handtasche und ging in die Küche, um das Abendessen vorzubereiten.
Eins stand fest: Wenn er sich nicht meldete, dann war’s das. Unter gar keinen Umständen würde sie das Risiko eingehen, abgewiesen zu werden. Schlimm genug, dass Henrik so schnell mit einer anderen Frau zusammengezogen war. Als wären all die gemeinsamen Jahre nur eine Bagatelle gewesen.
Wollte sie Jonas Sköld überhaupt wiedersehen?
Je länger sie darüber nachdachte, desto unsicherer wurde sie. Im einen Moment sehnte sie sich nach ihm. Sie hatten einen wunderbaren Abend und eine aufregende Nacht zusammen verbracht. Nach der frostigen Zeit im Frühjahr waren die Stunden mit Jonas ein Geschenk gewesen.
Aber sie wollte auf keinen Fall schon wieder verletzt und zurückgestoßen werden. Und nie mehr würde sie in einer Beziehung leben, wie sie sie mit Henrik geführt hatte.
Das war das letzte Mal, dass ich zurückgesteckt habe, dachte sie verbissen.
Sie bekam ganz heiße Ohren bei der Erinnerung daran, wie widerspruchslos sie sich Henriks Gewohnheiten und Wünschen untergeordnet hatte. Während er seinem Beruf nachging oder Regatten segelte, hatte sie sich um Haushalt und Familie gekümmert. Ein ums andere Mal hatte sie sich selbst hintangestellt.
Nie mehr wieder, sagte sie sich selbst.
Entschlossen griff sie nach einem Topf, um Wasser für die Tortellini aufzukochen, die Simon bestellt hatte. Sie nahm das Salzpäckchen vom Küchenregal, maß einen Löffel Salz ab und gab es ins Wasser. Dann legte sie scheppernd den Deckel auf und schaltete die Platte auf die höchste Stufe.
Eine einzige Nacht, und schon beherrschte er all ihre Gedanken.
Es hatte sie so viel Mühe gekostet, die Kontrolle über ihr eigenes Leben wiederzugewinnen. Sie hatte nicht vor, sie wieder abzugeben.
Sie musste aufhören, an Jonas Sköld zu denken.
Tagebucheintrag Juni 1977
Ich bin der Einzige, der noch wach ist, es ist schon nach Mitternacht. Die Bilder geistern mir durch den Kopf, das Gefühl, als ich dort oben an der Reihe war, das Seil, das durch meine schweißnassen Finger glitt.
In meinem Knöchel pocht es heftig.
Wir sollten uns an der Außenmauer des Korsö-Turms abseilen, gesichert durch Rettungsleinen um den Körper. Der alte steinerne Leuchtturm ist sechsundzwanzig Meter hoch, und seine Wand hat keine natürlichen Haltepunkte. Die Übung sollte unsere Koordination und Muskelkontrolle trainieren, und die Aufgabe war, so wenig wie möglich gegen die Mauer zu prallen.
»Der Rekord ist überhaupt kein Aufpraller«, brüllte der Uffz. »Denkt daran.«
Wenn man oben auf dem Turm steht, ist die Aussicht atemberaubend. Das sagen jedenfalls die meisten. Als ich hinunterblickte, spürte ich nichts als ein mulmiges Gefühl. Es ist weit bis zum Boden, und der ist steinhart, nur Felsen und Granit. Da ist nichts, was einen Sturz abfangen könnte, nichts, was den Aufprall dämpft, wenn man den Halt verliert.
Ich habe große Höhen nie gemocht, nicht mal Achterbahnen, als ich ein Kind war. Schon bei dem Gedanken, dort oben zu stehen, krampfte sich mir der Magen zusammen.
Wir sollten uns nacheinander abseilen und warteten in einer Reihe auf der engen Steintreppe. Die Stimmung war angespannt, keiner sagte etwas. Die Stille wurde nur von schnellen, nervösen Atemzügen durchbrochen, und das
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