Moerderische Schaerennaechte
kleinen Schloss, und mit der Jahreszahl beschriftet. Auf der, die Marcus mitgenommen hat, stand 1977. Ich habe ein ganzes Regal voller Kassetten aus verschiedenen Jahren. Aber ich habe nichts gelesen. Kein einziges Tagebuch habe ich aufgemacht.«
Thomas fragte sich, warum es ihr wichtig war, dass er ihr glaubte. Hatte sie ein schlechtes Gewissen?
Er meinte sich zu erinnern, dass er keine derartige Kassette in Marcus Nielsens Studentenbude gesehen hatte. Sicherheitshalber würde er das Protokoll noch einmal durchgehen, aber wenn so eine Kassette im Zimmer gestanden hätte, wäre ihm das aufgefallen. Ob sie zu Hause bei Nielsens Eltern war?
»Danke für Ihre Hilfe, Lena«, sagte er. »Es war gut, dass Sie angerufen und mir das erzählt haben.«
Nach dem Telefonat ging er noch mal die Notizen durch, die er sich während des Gesprächs gemacht hatte.
Jetzt fehlten sowohl Nielsens Laptop als auch Fredells Tagebücher.
Das konnte kein Zufall sein.
Thomas stand im Bad mit der Zahnbürste in der Hand, als das Telefon klingelte. Auf dem Display sah er, dass es Nora war.
Was wollte sie um diese Zeit?
Nora kam gleich zur Sache, wie üblich.
»Ich habe gestern mit Olle gesprochen, meinem Nachbarn, genau wie du es wolltest. Er hat mir eine ganze Menge über die Station auf Korsö erzählt.«
Thomas ging ins Wohnzimmer und setzte sich aufs Sofa. Pernilla war schon gegen neun ins Bett gegangen, und er wollte sie nicht stören. Er lehnte sich zurück und versuchte, gegen die Müdigkeit anzukämpfen. Sie wollte einfach nicht weichen, obwohl er den ganzen Nachmittag geschlafen hatte.
»Was hat er berichtet?«
»Olle beschrieb Korsö als einen merkwürdigen Ort, milde ausgedrückt«, sagte Nora. »Er sagte, es ging darum, die Soldaten bis an den Rand des Zusammenbruchs zu treiben. Erst danach konnte man sie wieder aufbauen und zu echten Küstenjägern machen. Eine Eliteeinheit mit speziellen Kampffähigkeiten, nannte er sie. Richtig gesund klang das nicht, wenn du mich fragst.«
Es klapperte im Hintergrund, als würde sie den Geschirrspüler ausräumen und Gläser und Porzellan in einen Schrank stellen.
Nora fuhr fort: »Offenbar gab es dort Offiziere, die ihre Grenzen weit überschritten.«
Sie erzählte rasch von dem Soldaten, der sich ins Bein geschnitten hatte.
»Was sagst du dazu?«, fragte sie.
»Klingt brutal. Hat er irgendwelche Namen genannt?«
»Er sprach von einem Ausbilder, der besonders sadistisch war, aber ihm ist der Name nicht mehr eingefallen.«
Als sie aufgelegt hatten, saß Thomas noch eine Weile auf dem Sofa und dachte nach.
Noras Worte klangen ihm in den Ohren: Sie schufen eine Eliteeinheit, indem sie die Soldaten an den Rand des Zusammenbruchs trieben.
Gab es jemanden dort draußen, für den der Druck zu viel gewesen war?
Vor dreißig Jahren?
Montag (dritte Woche)
Kapitel 52
Der weiße Korridor mit den weißen Wänden schien endlos zu sein. Thomas und Pernilla verirrten sich zweimal, ehe sie die kleine Rezeption erreichten. Über der Tür war ein Schild, auf dem in blauer Schrift »Ultraschall-Anmeldung« stand.
Pernilla hatte Thomas am Morgen daran erinnern müssen. Seufzend hatte sie neben ihm im Auto gesessen und gewartet, während er Margit anrief und Bescheid sagte, dass er nicht vor zehn kommen könne. Sie würden einen späteren Zug nach Göteborg nehmen müssen.
Eine freundliche Schwester brachte sie in einen Raum mit heruntergelassenen Jalousien. In dem schummrigen Licht waren verschiedene Apparate zu sehen, an einem von ihnen blinkte eine grüne Lampe.
Pernilla wurde gebeten, sich auf die Liege zu legen und den Pullover hochzuziehen. Anschließend verteilte die Schwester ein transparentes Gel auf ihrem Bauch.
»Ich hatte ganz vergessen, wie kalt das ist«, sagte Pernilla zur Schwester.
Thomas hielt sich im Hintergrund.
Er hatte schon eine ganze Zeit lang nichts mehr gesagt, und Pernilla bemerkte, dass er ein verkniffenes Gesicht machte. Die Situation schien ihm unangenehm zu sein. Sie versuchte, seinen Blick auf sich zu ziehen, aber erfolglos.
Falls etwas nicht stimmte, war es besser, es jetzt zu erfahren, bevor ihr Schneckchen geboren und ein richtiger Mensch geworden war, jemand, den sie in den Armen halten und herzen und küssen konnte.
Es war besser, einen Fötus zu verlieren als ein voll entwickeltes Kind, dachte Pernilla, aber auch diese Vorstellung war schrecklich.
»Setzen Sie sich doch«, sagte die Schwester zu Thomas und zeigte auf einen dreibeinigen Hocker
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