Moerderische Sehnsucht
dringend Hilfe. Was haben Sie damals gehört, was ihr vielleicht hilft?«
» Woher, zum Teufel, soll ich das wissen?«
» Es hat irgendwas mit ihr zu tun gehabt, mit Edwina Spring. Sie ist damals gestorben, richtig?«
» Alle sind gestorben.« Trotzdem hob er abermals die Hand an das Sauerstoffgerät und sah Eve argwöhnisch an. » Ich habe sie– Edwina– einmal mit einem Soldaten sprechen hören, den ich kannte. Ein junger Erster Lieutenant, der aus New Jersey kam. An seinen Namen kann ich mich nicht mehr erinnern. Sie haben sich heimlich zusammen fortgeschlichen, wenn sie für uns gesungen hat. Und sie haben sich immer genauso angesehen wie Therese und ich.«
» Sie waren ein Paar?«
» Wahrscheinlich. Oder wären es auf alle Fälle gern gewesen. Sie war jung, viel jünger als der Abnehmer.«
» Wer? Der Abnehmer?«
» So haben sie Lowell– James Lowell– genannt.«
» Weil er immer die angekarrten Leichen abgenommen hat«, erklärte Eve in der Erinnerung an Dobbins’ Kommentar.
» Genau. Sie war halb so alt wie er, vital und wunderschön. Er war, verdammt noch mal, einfach zu alt für sie, und… es war etwas in seinem Blick. Genau wie bei dem Alten, seinem Vater. Sie hatten etwas im Blick, weshalb sich einem die Nackenhaare gesträubt haben, wenn man sie angesehen hat.«
» Sie haben das mit ihr und dem Soldaten rausgefunden.«
» Ja, ich glaube, die beiden wollten durchbrennen. Er wäre weder der Erste noch der Letzte gewesen, der damals desertierte. Es war Sommer. Wir hatten den Sektor zumindest zeitweise gesichert. Ich verließ das Lager und lief rum, um mich daran zu erinnern, wofür wir überhaupt in den Kampf gezogen waren. Dann hörte ich die beiden plötzlich miteinander reden. Sie standen hinter einem der Versorgungszelte. Ihre Stimme hätte man ganz einfach überall erkannt. Sie sprachen darüber, nach Norden zu gehen, in die Berge. Viele Leute waren bereits aus der Stadt in die Berge, aufs Land geflohen, und er hatte dort oben noch Familie.«
» Sie wollte ihren Mann verlassen und mit diesem Soldaten durchbrennen.« Robert Lowell, errechnete Eve, musste damals knapp zwanzig gewesen sein.
» Ich habe mich nicht bei ihnen bemerkbar gemacht, hätte sie aber auch niemals denunziert. Ich wusste, was es hieß, jemanden zu lieben, und er hatte einfach Angst um sie. Ich habe mich zurückgezogen und die Straße überquert, denn sie sollten nicht merken, dass ich in der Nähe gewesen war. Wollte ihnen ihre Privatsphäre lassen. Die es damals praktisch nirgends gab. Da habe ich ihn gesehen. Er stand auf der anderen Seite des Zelts und hat sie belauscht.«
» Lowell«, sagte Eve. » Der Jüngere.«
» Er wirkte wie in Trance. Ich hatte bereits gehört, dass er psychische Probleme hatte. Es gab Gerüchte über ihn, aber bis dahin hatte ich gedacht, das wäre nur eine Ausrede seiner Familie gewesen, damit er nicht zu kämpfen braucht. Doch als ich ihn dort stehen sah, stimmte irgendetwas nicht mit ihm. Nein, irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Ich brauche Wasser.«
Wieder hielt ihm Eve den Becher an den Mund.
» Er hat sie denunziert.«
» So muss es gewesen sein. Ich konnte nichts tun. Nicht, solange er dort stand. Ich wollte die beiden später warnen, wollte dem Lieutenant sagen, dass der Junge ihr Gespräch mitbekommen hat. Aber dazu bekam ich nie die Chance. Ich bin weiter die Straße raufgegangen und habe überlegt, was ich machen soll– ich wollte erst noch mit Therese darüber reden–, und als ich wiederkam, waren die zwei schon nicht mehr da. Der Soldat hatte irgendeinen Auftrag übernommen, und Edwina war wieder heimgegangen. Ich habe keinen der beiden noch einmal lebend gesehen.«
» Was ist mit ihnen passiert?«
» Über eine Woche später…« Langsam wurde er wirklich müde, merkte sie. Viel bekäme sie bestimmt nicht mehr aus ihm heraus. » …wurde der Soldat als unerlaubt abwesend gemeldet, und auch sie kam nicht noch mal in unser Camp. Deshalb dachte ich, sie hätten es vielleicht geschafft. Dann hatte ich eines Abends Wachdienst und fand sie draußen auf dem Bürgersteig. Es wurde nie geklärt, wie derjenige, der sie dorthin geworfen hatte, an den Wachposten vorbeigekommen war. Sie war tot.«
Eine Träne kullerte aus seinem Auge und rann an dem Sauerstoffgerät vorbei. » Ich hatte solche Leichen schon des Öfteren gesehen und wusste, woher all diese Wunden stammten.«
» Sie war gefoltert worden?«, fragte Eve.
» Sie hatten ihr fürchterliche Dinge angetan und sie
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