Mörderische Tage
Unterstützung gebrauchen können.«
»Schon«, gab Hellmer zu, »aber Holzer ist bekannt dafür, dass er keine Meinung außer seiner eigenen gelten lässt. Dabei hat er kaum halb so viele Dienstjahre auf dem Buckel wie unsereins.«
»Herr Hellmer, diese kleingeistige Animosität steht Ihnen nicht. Hören Sie, das BKA stellt uns seinen besten Kriminalpsychologen und Fallanalytiker zur Verfügung, und das will doch etwas heißen. Sind Sie ihm überhaupt jemals persönlich begegnet?«
Hellmer blickte als Antwort nur zu Boden und runzelte die Stirn.
»Na also, wie können Sie sich dann ein Urteil erlauben? Ich kann Sie auch gerne von dem Fall abziehen und einen anderen Kollegen an Ihre Stelle setzen, wenn Ihnen das lieber ist. Es gibt noch genug andere Arbeit zu erledigen, zum Beispiel stapeln sich eine Menge unerledigter Akten auf den Tischen.«
»Nein danke, Chef, ich werde mit Holzer schon zurechtkommen. Und keine Sorge, ich werde mich zurückhalten.«
»Nichts anderes erwarte ich von Ihnen. Außerdem haben wir noch eine knappe Woche Zeit, den Fall selbst zu lösen. Aber da ich nicht an Wunder glaube …«
»Ich auch nicht. Bin gespannt, ob der uns helfen kann«, sagte Hellmer.
»Er wird uns auf jeden Fall all sein Wissen zur Verfügung stellen, und zwar vorläufig auf unbegrenzte Zeit. Er ist der mit Abstand beste und erfolgreichste Profiler, den wir in Deutschland haben, er war zwei Jahre in den Staaten und ist bei den Besten in die Lehre gegangen. Wenn das keine Referenz ist«, sagte Berger im Brustton der Überzeugung.
»Mal sehen«, bemerkte Durant nur.
»Höre ich da etwa auch bei Ihnen Zweifel in der Stimme?«
»Manchmal stoßen auch die Besten an ihre Grenzen. Wie will er uns helfen, wenn unsere Abteilung nach beinahe acht Monaten nicht mal den Hauch einer Ahnung hat, wo bei der Suche nach diesem … Monster! … anzusetzen ist? Können Sie mir das verraten?«
»Warum dieser Pessimismus?«, wollte Berger wissen. »Das passt nicht zu Ihnen, wo Sie sonst doch immer so voller Elan und Zuversicht stecken.«
Mit einem resignierten Gesichtsausdruck antwortete sie: »Tja, sonst immer. Aber ich kann mich an keinen einzigen Fall erinnern, wo wir so lange im Dunkeln getappt sind wie jetzt. Es stimmt schon, ich bin normalerweise eher optimistisch, aber allmählich …«
Berger hob die Hand. »Liebe Kollegin, ich stimme Ihnen zu, wir haben noch keine Ergebnisse vorzuweisen, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass wir diesen Fall dennoch lösen. Geben Sie Holzer eine faire Chance, als ausgebildeter Profiler und Fallanalytiker sieht er womöglich Details, die uns bisher entgangen sind. Darauf setze ich im Moment meine ganze Hoffnung. Und bitte, tun Sie mir den Gefallen und seien Sie nett zu ihm, auch wenn er kein sehr umgänglicher Mensch ist, wie mir auch von anderer Seite bereits berichtet wurde.«
»Ich bin immer nett«, erwiderte sie, machte auf dem Absatz kehrt und wollte bereits in ihrem Büro verschwinden, als sie sich noch einmal umdrehte. Charmant lächelnd, auch wenn ihr nicht danach zumute war, fügte sie hinzu: »Warum soll ich eigentlich nett zu ihm sein? Wenn er kommt, habe ich doch schon längst meine ersten Fußspuren im Sand der französischen Riviera hinterlassen.«
Danach schloss sie die Tür hinter sich, nahm auf ihrem Stuhl Platz, legte die Füße auf den Tisch und dachte nach. Jacqueline Schweigert. Sie versuchte sich in die Lage der Eltern zu versetzen, die ein halbes Jahr in tiefer Verzweiflung gepaart mit Hoffnung und Beten verbracht hatten, bis die erlösende Nachricht kam, dass ihre Tochter lebte. Doch es war eine trügerische Erlösung, eine Fata Morgana, die Durant keinem Menschen wünschte. Die Schweigerts waren seit dem Verschwinden ihrer Tochter jeden Tag in die Kirche gegangen, hatten Kerzen aufgestellt und gebetet, das hatten sie ihr erst am Freitagvormittag noch einmal bestätigt und hinzugefügt, dass ihre Gebete endlich erhört worden waren. Und sie würde nie die Freudentränen vergessen, die sie am Bett ihrer Tochter vergossen hatten. Und dann war alle Hoffnung mit einem Schlag zunichte gemacht worden. Sie konnte ihnen nicht verdenken, wenn sie der Kirche und dem Glauben an Gott für immer den Rücken kehrten. Nein, sie konnte es ihnen nicht verdenken.
Und sie dachte an Karin Slomka. Sie hatte ihre Mutter und ihren siebenjährigen Sohn kennengelernt. Die Mutter vermisste ihre Tochter, der Sohn seine Mutter. Ein aufgeweckter Junge, voller Neugier und doch unendlich
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