Mörderische Tage
traurig. Erst hatte er seinen Vater sterben sehen, und nun war auch noch seine Mutter verschwunden. Durant fragte sich, wie der Junge sich nach diesen traumatischen Erlebnissen entwickeln würde. Auch das überstieg ihre Vorstellungskraft, sie hoffte nur, er würde all die Trauer und den Schmerz überwinden, denn sie glaubte nicht, dass Karin Slomka noch am Leben war, und wenn, dann wahrscheinlich nur noch für eine kurze Zeit, wie Jacqueline Schweigert.
Einmal mehr wurde ihr bewusst, wie frustrierend ihr Beruf war. In den vergangenen mehr als zwölf Jahren bei der Mordkommission hatte sie viele Fälle zu bearbeiten gehabt, doch diese zählten zu den mysteriösesten und unheimlichsten. Und ihre innere Stimme flüsterte, nein, sie schrie, dass der Täter erst begonnen hatte. Mit Jacqueline Schweigert hatte er ein erstes Zeichen gesetzt, auch wenn sie überzeugt war, dass die beiden Morde an Detlef Weiß und Corinna Peters ebenfalls auf sein Konto gingen, eine Auffassung, mit der sie allerdings noch ziemlich alleine stand.
Sie schenkte sich ein Glas Wasser ein und trank in langsamen Schlucken. Sie fühlte sich ausgebrannt und leer. Die vergangenen Monate hatten an ihren Kräften gezehrt, sie war physisch und vor allem psychisch längst nicht mehr auf der Höhe. Der letzte Urlaub, den sie im August in Südfrankreich hatte verbringen wollen, war eigentlich keiner gewesen, da sie mitten in der Jagd nach einem Kindsmörder gefahren war. Ständig hatte sie daran denken müssen, wie ihre Kollegen sich die Tage und Nächte um die Ohren schlugen, während sie versuchte, es sich gutgehen zu lassen. Nach nur zehn Tagen bei ihrer Freundin Susanne Tomlin war sie wieder abgereist. Den Mörder, einen bereits vorbestraften Sexualstraftäter, hatten sie im Oktober bei einer Razzia in einem Stundenhotel geschnappt. Ein Zufallstreffer, wie er nicht allzu häufig vorkam.
Seitdem hatte sie keinen einzigen Tag Urlaub gehabt, dafür Überstunden um Überstunden geschoben, bis ihre Kräfte aufgebraucht waren. Aber am kommenden Samstag würde sie wieder nach Südfrankreich fliegen. Susanne würde sie in Nizza abholen, danach eine gute halbe Stunde Fahrt im Jaguar Cabrio, bis sie die Villa direkt am Meer erreichten. Vier Wochen und keinen Tag weniger, darauf hatte Berger bestanden, was auch immer passierte, selbst wenn das Präsidium in ihrer Abwesenheit niederbrannte oder ein Meteor in Frankfurt einschlug. Sie würden auch ohne sie zurechtkommen, und sie solle es bloß nicht wagen, früher als geplant im Präsidium zu erscheinen. Ich möchte eine fitte Kommissarin haben, hatte er gesagt und sie dabei mahnend angesehen.
Diesmal würde sie versuchen abzuschalten und Körper und Seele die dringend benötigte Ruhe verschaffen. Im warmen Meer baden, am Strand spazieren gehen, die Abende mit Susanne auf der Terrasse mit dem herrlichen Meerblick verbringen und unendlich viel reden. Wenn sie zusammen waren, gab es immer viel zu erzählen, über früher, wie sie sich kennenlernten, wie sie Freundinnen wurden, wie die Jahre ins Land gegangen und sie trotz der großen Entfernung Freundinnen geblieben waren. Und sie würde viel schlafen, aber auch wie sonst einiges unternehmen, unter anderem wollte sie endlich einmal der berühmten Parfum-Stadt Grasse einen längeren Besuch abstatten.
Hin und wieder, das heißt maximal einmal im Jahr, kam Susanne auch nach Frankfurt, um nach ihrer Wohnung im Holzhausenviertel zu sehen und ein paar wenige alte Bekannte zu treffen. Natürlich sahen sie sich dann auch, meist aber zog es sie schon nach zwei, drei Tagen wieder zurück in ihre neue Heimat, denn es gab zu viel Negatives, das sie mit Frankfurt verband. Erinnerungen, die nie verblassen würden, ganz gleich, wie viele Jahre vergingen. Ihre Kinder waren mittlerweile erwachsen, Laura, die Älteste, arbeitete mit ihren gerade mal siebenundzwanzig Jahren als Rechtsanwältin in einer renommierten Kanzlei in Nizza, Julian absolvierte sein Medizinstudium in Paris, während Sheila, das Küken, gerade die Schule abgeschlossen hatte. Das Verhältnis zwischen Susanne und ihren Kindern war bestens, Laura und Sheila wohnten noch zu Hause, nur Julian hatte in Paris eine kleine, aber schmucke Wohnung. Er kam jedoch regelmäßig nach Hause, weil er sich dort am wohlsten fühlte, wie er selbst stets betonte. Und wenn man sah, wie Susanne und ihr Ältester miteinander umgingen, konnte Julia verstehen, warum er so gerne zu Hause war. Susanne war die beste Mutter, die Julia
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