Mörderische Tage
ist mir bis jetzt nicht untergekommen. Und glauben Sie mir, ich hab schon eine Menge erlebt. Haben Sie den Geruch wahrgenommen?«, fügte er hinzu. »Sie duftet nach Rosen.«
»Ist mir schon vorhin aufgefallen«, bemerkte Hellmer, während er mit seinem Handy Fotos vom Gesicht der jungen Frau machte. »Und sie ist geschminkt, als hätte sie heute Nacht noch etwas vorgehabt.«
»Rosen?«, fragte Schmidt aus Eschborn zweifelnd nach.
»Parfüm oder eine Bodylotion vielleicht. Halten Sie mal Ihre Nase an ihren Hals oder ihre Arme«, sagte der Arzt.
Schmidt ging mit seinem Gesicht dicht an den Körper der Unbekannten und meinte: »Stimmt. Das heißt, sie hat vorhin noch gebadet, sich eingecremt, geschminkt und …«
»Sieht so aus. Und sehen Sie sich ihre Hände an, sehr gepflegt, genau wie ihre Füße. Ich vermute, sie stammt aus guten Verhältnissen.«
Hellmer mischte sich ein: »Sie ist wirklich alles andere als verwahrlost. Hoffentlich kann sie uns bald erzählen, was ihr widerfahren ist. Was könnte denn die Ursache für einen solchen Blackout sein?«
»Da gibt es einige Möglichkeiten. Alkohol, Drogen, eine Schädigung des Gehirns, ein psychischer Defekt oder auch ein Schockerlebnis, das ihr von jetzt auf gleich die Erinnerung ausgelöscht hat. Es gibt zahlreiche belegte Fälle aus Kriegsgebieten, wo Menschen innerhalb weniger Minuten amnestisch wurden. Aber wie gesagt, ihre nicht vorhandenen Reflexe und die Reaktionslosigkeit würden auch das nicht erklären. Und jetzt lassen Sie uns bitte fahren, sie muss umgehend fachärztlich versorgt werden.«
Hellmer und Schmidt sahen noch eine Zeitlang dem Notarztwagen nach, bevor Schmidt sich dem Lkw-Fahrer zuwandte, der erst jetzt das ganze Ausmaß dessen zu begreifen schien, was geschehen war. Er saß auf einem der Zwillingsreifen seines umgekippten Trucks und starrte in die Dunkelheit.
Hellmer betrachtete indes die Fotos, die er gemacht hatte. Das Gesicht kam ihm bekannt vor, ihn hatte eine düstere Ahnung beschlichen, als er die junge Frau im Notarztwagen deutlich erkennen konnte. Sollte das, was er vor wenigen Minuten erlebt hatte, tatsächlich zu einem Fall gehören, der von ihm und seinen Kollegen im Präsidium bearbeitet wurde? Nur hätte er es nie für möglich gehalten, eines Nachts mit einer seit beinahe einem halben Jahr vermissten Person zusammenzutreffen. Und schon gar nicht auf eine solche Weise, mitten auf der Autobahn, während er nach einem überlangen Arbeitstag auf dem Weg nach Hause war. Bewusst hatte er weder Schmidt noch dem Arzt von seiner Vermutung erzählt. Zunächst musste er sich Gewissheit verschaffen.
Als Hellmer wieder in seinem Wagen saß, schickte er die Fotos von seinem Handy dem KDD zu, wo sie mit den Fotos von vermissten Personen verglichen werden sollten – speziell mit einem. Danach rief er Julia Durant an.
»Frank, es ist spät und …«, meldete sich Durant mit müder Stimme.
»Hör zu, ich hab eben etwas absolut Unglaubliches erlebt.
Ich schätze, ich habe Jacqueline Schweigert gefunden. Sie ist
mir fast vors Auto gelaufen.«
»Was?« Durant war mit einem Mal hellwach.
»Du hast richtig gehört. Ich hab Fotos von ihr gemacht und an die Kollegen geschickt, ich bin mir aber ziemlich sicher, sie ist es.«
»Und wo ist das passiert?«
»Auf der A66. Die hat ein heilloses Chaos angerichtet, wofür sie aber wohl nichts kann. Ich hab sie erst erkannt, als sie im Krankenwagen lag. Sie war vollkommen orientierungslos und nicht ansprechbar. Sie konnte uns nicht einmal ihren Namen nennen. Und sie duftete nach Rosen.«
»Wo ist sie jetzt?«
»Im Höchster Krankenhaus. Ich wollte nur, dass du Bescheid weißt. Hoffen wir, dass sie überlebt.«
»Ist sie verletzt?«
»Nein, äußerlich nicht. Nicht mal eine Schramme. Wir treffen uns morgen«, dabei sah er auf die Uhr und verbesserte sich, »oder genauer gesagt heute um neun in der Klinik. Einverstanden?«
»Natürlich. Und danke, dass du mir Bescheid gegeben hast.«
»Ich muss auflegen, KDD klopft an. Ciao.«
»Volltreffer. Jacqueline Schweigert«, war der knappe Kommentar von Leitz, der Hellmers erster Partner bei der Kripo gewesen war, bevor er bei der Mordkommission anfing, während Leitz weiter beim KDD seinen Dienst versah, wo er auch die noch verbleibenden fünf Jahre bis zur Pension verbringen würde. »Wie hast du sie gefunden?«
»Lange Geschichte, zu lang für jetzt. Nur so viel – A66, Richtung Wiesbaden, etwa dreihundert Meter vor der Tankstelle, mitten auf
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