Mörderische Tage
sich genommen. Die leichte Übelkeit und die Stiche in der Schläfe waren ein untrügliches Indiz für übergangenen Hunger. Hatte sie am Mittag keinen Appetit gehabt, so verspürte sie jetzt eine fast unbändige Lust auf eine saftige Pizza, dazu Tomatensalat mit einer großen Portion Zwiebeln. Nach zehn Minuten des Überlegens auf dem Sofa begab sie sich ins Bad, zog sich einen legeren Hausanzug an und überlegte, was sie denn nun essen sollte. Sie entschied sich seit längerem wieder einmal für das, was sie in den letzten Jahren so oft gegessen hatte – Tomatensuppe und Salamibrot. Und eine Dose Bier. Und danach entspannen, die Beine hochlegen und bei Susanne Tomlin anrufen. Und später vielleicht auch noch ihren Vater, den sie zuletzt vor einer Woche gesprochen hatte. Sie würde ihm ihr Leid klagen, und er würde ihr geduldig zuhören. Wie jedes Mal. Nur hin und wieder erteilte er wohldosierte und wohlgemeinte Ratschläge. Aber nur hin und wieder.
Nach dem Essen wählte sie Susannes Nummer.
»Hallo, Julia«, wurde sie begrüßt, bevor sie etwas sagen konnte.
»Hallo. Ich wollte mich nur mal melden und fragen, ob alles okay ist. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich auf Samstag freue. Bei uns ist die Hölle los.«
»Deswegen wird es Zeit, dass du kommst. Julia, du brauchst dringend Entspannung und Ruhe. Du bist doch völlig fertig, das hör ich sogar durchs Telefon.«
»Ich weiß, aber …«
»Nein, kein Aber, das lasse ich nicht mehr gelten«, fuhr ihr Susanne ins Wort, als wüsste sie genau, was Julia gleich sagen würde. »Du ruinierst dir noch die Gesundheit, wenn du permanent auf der Überholspur fährst. Irgendwann kommt der Crash. Es gibt ein Lied von den Eagles >Life in the fast lane<, das solltest du dir mal anhören. Wie oft soll ich es noch sagen, du bist nicht unentbehrlich, auch wenn du dich dafür hältst. Du wirst dich am Samstag gefälligst in den Flieger setzen und herkommen. Kapiert?«
»Susanne, ich weiß selbst, dass ich total bescheuert bin, ich denke nur immer, ohne mich läuft der Laden nicht.«
»Mal anders gefragt: Was wäre denn, wenn du plötzlich krank werden würdest und für ein paar Wochen oder gar Monate ...«
»Ich bin aber nicht krank«, wehrte sich Durant.
»Heißt das, du willst dir noch überlegen, ob du kommst?«, fragte Susanne plötzlich kühl.
»Nein, natürlich nicht. Ich krieg ja schon genug Druck von allen Seiten, sogar von Berger.«
»An was für einem Fall arbeitest du gerade?«
»Es geht noch immer um die vermissten Frauen. Letzte Nacht ist schon wieder eine verschwunden.«
»Julia, jetzt hör mir bitte zu. Du machst einen hervorragenden Job, du bist eine tolle Frau und eine wunderbare Freundin. Schalte ab, und zwar sofort. Ihr jagt seit über einem halben Jahr einem Gespenst hinterher, glaubst du vielleicht, du wirst etwas retten, wenn du den Urlaub wieder sausen lässt? Glaubst du das ernsthaft?«
»Darum geht es doch nicht. In ein paar Tagen bin ich bei dir, und daran wird sich auch nichts ändern …«
»Und du versprichst mir, nichts von dem, was mit Frankfurt zu tun hat, in den Koffer zu packen?«
»Versprechen kann ich es nicht, aber versuchen. Ich weiß, ich bin eine blöde Kuh, aber ich kann eben nicht aus meiner Haut. Du kennst mich doch.«
»Eben. Wir werden eine Menge unternehmen, ich habe ein paar wunderbare Ideen. Du wirst gar keine Zeit haben, auf dumme Gedanken zu kommen. Wie geht's dir denn sonst?«
»Ich esse zu wenig, ich schlafe zu wenig, ich denke zu viel nach. Das Übliche halt.«
»Wenn ich dich so höre, dann brauchtest du nicht vier, sondern mindestens acht Wochen Auszeit. Am besten ein ganzes Jahr. Wir sind beide nicht mehr zwanzig und endlos belastbar. Auch das solltest du dir vor Augen halten. Ich habe gelernt, mich meinem Alter entsprechend zu verhalten. Glaub mir, das hält jung. Ich werde dir zeigen, wie das geht. Muss ich mir Sorgen machen?«
»Quatsch, worüber denn?«
»Dass du's dir doch noch anders überlegst.«
»Susanne, ich schwöre dir, ich freue mich auf die Zeit bei und mit dir. Ich muss raus hier, sonst dreh ich durch. Und ja, die anderen werden auch ohne mich auskommen. Außerdem kriegen sie Verstärkung von einem renommierten Profiler.«
»Na also, ist doch bestens. Was machst du heute Abend?«
»Meinen Vater anrufen und früh zu Bett gehen.«
»Nimm ein Bad mit allem Drum und Dran, so etwa zwei Stunden Schönheitspflege. Dann noch ein Bier oder ein, zwei Gläser Rotwein, und du
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