Mörderische Tage
Augen geöffnet.«
»Auch dazu sind Freunde da. Bon soir et bonne nuit, meine Liebe. Und bis Samstag. Ich werde am Flughafen sein.«
»Bonne nuit, ma chere.«
Julia Durant legte auf. Sie stellte sich ans Fenster und sah hinunter auf die Straße. Wenige Autos, dafür viele Menschen, darunter zahlreiche Pärchen. Einige älter, einige noch jung und unbeschwert. Händchenhaltend, lachend. Lange Jahre hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht, als jemanden zu haben, mit dem sie einen Spaziergang an einem lauen Sommerabend machen konnte. Sie hatte es nicht einmal mit ihrem Mann getan, als sie noch verheiratet waren. Nicht ein einziges Mal. Er hatte sich nie wirklich für sie interessiert, dafür umso mehr für andere Frauen. Nach der Scheidung hatte sie wieder ihren Mädchennamen angenommen, um ihren Mann, diesen notorischen Fremdgänger, ein für alle Mal aus ihrem Leben zu streichen.
Nein, sie wollte nicht länger über verpasste Chancen nachdenken, die es möglicherweise auch gar nicht gegeben hatte, ging stattdessen ins Bad, ließ Wasser ein und holte die Flasche Rotwein aus dem Regal. Sie zog den Korken und ließ den Wein noch einen Moment atmen, bevor sie sich ein Glas halb vollschenkte. Sie würde es mit ins Bad nehmen und mit Genuss trinken.
Als sie in der Wanne lag und den Wein getrunken hatte, musste sie doch an den zurückliegenden Tag denken. Plötzlich schoss sie hoch, stieg aus dem Wasser, trocknete sich notdürftig ab, eilte ins Wohnzimmer und holte einen Block, einen Kuli und die Flasche Wein. Sie setzte sich wieder ins Wasser, ließ heißes dazulaufen, bis die Temperatur angenehm war, und machte sich Notizen.
Es gibt doch Parallelen zwischen den Opfern, dachte sie und schrieb mehrere Punkte auf. Parallelen, die wir bisher noch nicht bemerkt haben. Das Muster beginnt Gestalt anzunehmen. Kleinigkeiten, winzige Details, scheinbar so unbedeutend, dass keiner ihnen bisher Beachtung geschenkt hatte. Vielleicht irre ich mich auch, und es ist alles ein großer Zufall, aber Zufälle gibt es ja nicht, nur eine Synchronizität der Ereignisse.
Sie trank noch ein Glas Wein, ging die Notizen wieder und wieder durch, fügte noch ein paar Zeilen hinzu und überlegte, ob sie ihren Vater anrufen sollte. Es war halb elf und damit noch nicht zu spät.
Er meldete sich mit einem knappen »Durant«.
»Hallo, Paps, ich bin's. Hast du einen Moment Zeit?«
»Wenn nicht für dich, für wen dann? Was hast du auf dem Herzen?«
Sie berichtete ihm, wie ihr Susanne am Telefon freundschaftlich den Kopf gewaschen hatte.
»Tja, all das habe ich dir auch nicht nur ein Mal zu erklären versucht, aber was ist schon ein Vater gegen die beste Freundin?«
»Nein, Paps, so darfst du das nicht sehen. Ich wusste immer, dass du recht hast, und …«
»Aber du hast es nie umgesetzt. Ich wünsche mir, dass du es jetzt tust. Deine Arbeit ist wichtig, aber du bist wichtiger.«
»Ich weiß, nur an der Umsetzung hapert es. Aber ich habe mir vorgenommen, es ab jetzt besser zu machen.«
»Ich nehme dich beim Wort. Christus hat gesagt, du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Aber kein Mensch kann andere lieben, wenn er sich nicht selbst liebt. Das ist die Quintessenz dieser Aussage.«
Sie telefonierten fast eine Stunde, danach fühlte sie sich leicht und beschwingt, was nicht zuletzt auch an der wohltuenden Wirkung des Weins lag. Sie verspürte eine unendliche Dankbarkeit für die zwei Menschen, die ihr so viel bedeuteten und die ihr halfen, wenn sie nicht mehr weiterwusste, ihr Vater und Susanne.
Sie wollte sich gerade zu Bett legen, als das Telefon klingelte. Martina Neumann aus dem Verlag.
»Entschuldigung, dass ich so spät noch störe, aber mir ist doch noch etwas eingefallen, woran ich vorhin in der Aufregung nicht gedacht habe. Es gibt im Verlag einen Mann, zu dem Franziska einen recht guten Kontakt hat, wir nennen ihn alle nur J. J., sein voller Name ist Johann Jung. Er ist der Chef der Marketingabteilung und ein Schürzenjäger vor dem Herrn. Aber die beiden kommen ziemlich gut miteinander aus. Manchmal dachte ich schon, dass sie heimlich was miteinander hätten, aber das ist wahrscheinlich Unsinn, denn es entspräche nicht Franziskas Stil.«
»Danke, ich werde mich um diesen J. J. kümmern. Gute Nacht.«
»Warten Sie. Herr Jung ist für vier Wochen mit seiner Frau in Urlaub. Er ist erst am Wochenende abgereist.«
»Und wohin?«
»Indischer Ozean, Mauritius und Seychellen. Sie müssen sich schon noch
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