Mörderische Tage
kennengelernt hatte und der als Einziger zur Stelle war und sofort Wiederbelebungsmaßnahmen durchführte.
Äußerlich wies sie kaum sichtbare Verletzungen auf, aber sie war bewusstlos und musste mit einem Notarztwagen ins Krankenhaus transportiert werden. Als sie aus ihrer Bewusstlosigkeit erwachte und die Augen aufschlug, war alles schwarz. Kein Licht, kein Schatten, keine Farben, kein Weiß, nur ein einziges großes Schwarz. Die Ärzte fanden keine Erklärung für die Erblindung, da die aufwendig durchgeführten Untersuchungen keinerlei Schädigungen des Gehirns oder des Sehnervs erbrachten. Nach allen nur erdenklichen Tests, von denen einige sogar von einem amerikanischen Spezialisten durchgeführt worden waren, warfen sie das Handtuch und rieten ihr kurz vor der Entlassung, dass sie die Hoffnung nicht aufgeben solle, das Augenlicht könne ganz plötzlich wiederkommen. Das war vor fünf Jahren. Und seit vier Jahren war sie mit dem Mann verheiratet, den sie zufällig kennengelernt hatte und dessen Atem sie jetzt auf ihrer Haut spürte. Ihr Lebensretter.
Der großen Leere und Trauer folgten schon nach wenigen Wochen Trotz und Auflehnung gegen ihre Behinderung. Ra-hel wollte leben und dieses Leben weiter genießen, auch wenn sie nicht mehr sehen konnte und anfangs auf die Hilfe anderer angewiesen war. Aber sie schaffte es, vor allem dank seiner Hilfe.
Er war ihr sofort sympathisch gewesen, auch wegen seines unaufdringlichen Verhaltens. Er unterschied sich von den meisten Männern, die um sie buhlten, es aber auf jene plumpe Weise taten, die sie nicht ausstehen konnte.
Er war derjenige gewesen, der sie aus dem Wasser gerettet hatte, weil kein anderer in der Nähe war, er war der Erste gewesen, der den Rettungswagen verständigte, während die anderen, die auf seine Schreie hin aus dem Haus gerannt kamen, nur dumm und betrunken herumstanden und lachten, als handele es sich um eine Lappalie, und er war es auch, der sie in die Klinik begleitete. Als sie einen Tag später aufwachte, war er da und hielt ihre Hand, während ihre Eltern noch im Flieger von Vancouver nach Frankfurt saßen. In der Folgezeit tröstete er sie, wenn sie traurig war und weinte, und er tat alles, damit das Leben für sie wieder erträglich wurde.
Ein gutes Jahr später wollte er eine große Hochzeitsfeier veranstalten für die schönste, klügste und beste Frau der Welt, doch sie bat ihn, mit ihr nach Irland zu fliegen und dort in aller Stille zu heiraten.
»Wollen wir essen gehen?«, fragte er nun und legte seinen Kopf an ihren.
»Schatz, Aleksandra hat einen wunderbaren Sauerkrautauflauf gemacht, und mir ist heute ehrlich gesagt nicht nach Ausgehen. Lass uns den Abend hier auf der Terrasse verbringen.«
»Wie du willst, dein Wunsch ist mir Befehl. Warst du heute schon schwimmen?«
»Ja, vorhin, aber ich wollte gleich noch mal ins Wasser, bevor wir essen. Kommst du mit?«
»Nein, ich bleibe hier und schaue dir zu.«
»Spanner«, sagte Rahel lachend und erhob sich.
»Wenn du meinst.«
»Meine ich«, antwortete sie, ging zum Pool, sie kannte die Zahl der Schritte längst auswendig, zog sich aus und stieg nackt in das kühle Wasser. Sie legte sich auf den Rücken und ließ sich auf der Oberfläche treiben, wobei sie nur leicht die Füße bewegte.
Er betrachtete sie wie ein wunderschönes Gemälde, sie war perfekt, mit einer Figur, wie sie nur wenigen Frauen vergönnt war, und einem Gesicht, wie es kein Maler schöner hätte zeichnen können. Dazu war sie über die Maßen gebildet und von außergewöhnlich freundlichem Wesen. Neunundzwanzig Jahre alt, blind und dennoch voller Elan und Lebenshunger. Mit ihr konnte er abends vor dem Kamin sitzen und reden, sie konnten zusammen schweigen und sich doch verstehen, sie spielten Schach, wobei sie öfter gewann, obwohl sie die Figuren nur mit ihren Händen sah.
Sie war etwas Besonderes, so besonders, dass er sie vom ersten Moment an hatte besitzen wollen. Es war keine Liebe, die er für sie empfand, Respekt ja, aber Liebe, nein, denn es gab nur einen einzigen Menschen auf der Welt, den er liebte – und das war er. Seit er denken konnte, liebte er nur sich. Doch er gab ihr ständig das Gefühl, sie zu lieben.
Nach zehn Minuten kehrte sie zurück, ihre Kleidung unter dem Arm.
»Ich habe Hunger«, sagte sie, den Kopf in seine Richtung gewandt.
»Willst du dich so an den Tisch setzen?«, fragte er lachend.
»Und wenn?«, fragte sie spöttisch. »Ich habe doch den perfekten Körper, wie du
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