Mörderische Tage
gedulden.«
»Aber seine Adresse kann ich doch bekommen, oder?«
»Ja, warten Sie, ich gebe sie Ihnen.«
Julia Durant schrieb mit und sagte zum Abschluss: »Haben Sie noch etwas für mich?«
»Nein.«
»Dann bedanke ich mich und wünsche eine gute Nacht.«
»Ihnen auch.«
Sie legte auf und wölbte die Lippen. J. J. alias Johann Jung. Seit dem Wochenende in Urlaub. Angeblich. Sie würde es herausfinden.
Dienstag, 18.45 Uhr
»Hallo, Schatz, da bin ich wieder«, begrüßte er seine Frau Rahel , umarmte sie von hinten und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Ihr glänzendes braunes Haar duftete so gut wie eh und je . Ein Duft, von dem er nicht genug bekommen konnte, genauso wenig wie vom Duft ihrer leicht gebräunten Haut. Bereits bei der ersten Begegnung hatte sie ihn in ihren Bann gezogen, ohne dass er erklären konnte, was diese Faszination ausmachte. War es dieses selbstbewusste und doch freundliche Auftreten, ihr warmes, weiches Lachen, ihre Art, sich zu bewegen? Er konnte diese Frage bis heute nicht beantworten, auch wenn er sich sagte, dass es aller Wahrscheinlichkeit nach eine Komposition aus allem war, ein wenig Duft des Haares, ein wenig Duft der Haut, ein wenig vom Lachen, ein wenig vom charmanten Auftreten, ein wenig vom Selbstbewusstsein, das sie zu keiner Zeit verloren hatte. Jedenfalls war es dieser eine Moment, der sein Leben verändert hatte, denn nach dieser ersten Begegnung gab es für ihn nur ein Ziel – sie zu besitzen, koste es, was es wolle. Sie sollte ab sofort ihm gehören und niemandem sonst.
»Ist das nicht ein herrlicher Tag?«, sagte er zu Rahel, während er noch immer seine Arme um sie gelegt hatte.
»Wunderbar«, antwortete sie und streichelte ihm über die Wange.
Sie saß in ihrem Korbsessel mit Blick auf die Terrasse, die abendlichen Sonnenstrahlen hatten die Landschaft in ein traumhaftes Licht getaucht. Dieses konnte sie jedoch nur erspüren, auch wenn sie noch genau wusste, wie die Sonne aussah und der blaue Himmel, sie erinnerte sich noch zu gut an das Grün der Wiesen, die Farben der Blumen, das Grau des Asphalts und so vieles mehr, was sie in den ersten vierundzwanzig Jahren ihres Lebens gesehen hatte. Bis zu jenem fatalen Unfall hatte sie ein unbeschwertes Leben geführt, die Welt stand ihr offen, und nichts und niemand schien sie aufhalten zu können, alles zu erleben und alles zu erkunden. Sie studierte Mathematik und Physik in Frankfurt, ihre Eltern stammten aus Königstein, doch die meiste Zeit verbrachten sie in einem ihrer Häuser in Vancouver, auf Martha's Vineyard, in Key West oder dem neu hinzugekommenen Luxusheim im Oman, für das sie mehrere Millionen hingeblättert hatten. Ihr Vater hatte ein erfolgreiches Wertpapierunternehmen besessen, bis er mit fünfzig beschlossen hatte, die Firma zu verkaufen und mit seiner Frau nur noch zu leben, wie er es nannte. Das Leben genießen, sehen, wie das über zwanzig Jahre angehäufte Vermögen sich weiter vermehrte, Partys besuchen und Luxusgüter kaufen, von denen sie die wenigsten brauchten.
Ihre Eltern hatten nie verstanden, warum sie an einer, wie sie es nannten, Proleten-Universität wie Frankfurt studieren wollte, anstatt eine der Elite-Universitäten in den USA zu besuchen, doch sie weigerte sich, ein elitäres Püppchen zu sein, von denen sie eine ganze Reihe während eines Probesemesters in Harvard getroffen hatte. Außerdem kam sie mit der amerikanischen Mentalität nicht zurecht, was ihre Eltern ebenfalls nicht verstanden. Es gab eine kurze und heftige Auseinandersetzung, schließlich beugten sich ihre Eltern dem Wunsch der Tochter. »Es ist doch egal, wo ich studiere, ihr seid doch sowieso nie dort, wo ich bin«, hatte sie ihnen entgegengeschleudert.
Ab ihrem einundzwanzigsten Lebensjahr lebte Rahel zusammen mit einer Freundin in Frankfurt, wo sie sich eine große Wohnung teilten.
Alles verlief nach Plan – bis zu jener verhängnisvollen Nacht, in der sich alles für sie veränderte und dieses unbeschwerte, beschwingte Leben sich um hundertachtzig Grad drehte. Sie war mit Freunden zu einer Verlobungsfeier eingeladen, sie hatten gegessen und getrunken und viel gelacht, sie war leicht beschwipst allein in den parkähnlichen Garten mit dem großen Swimmingpool gegangen, bis sie am Rand des Pools das Gleichgewicht verlor und mit dem Hinterkopf auf die steinerne Umrandung aufschlug, bevor sie ins Wasser fiel und erst in letzter Sekunde vor dem Ertrinken gerettet wurde. Von einem Mann, den sie an diesem Abend
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