Mörderische Tage
mit Sicherheit sagen, dass ihre Organe aufgrund einer extremen Erhöhung der Stresshormone versagt haben. So viel in aller Kürze. Was der Auslöser war – wir wissen es nicht. Man weiß beispielsweise, dass manche Soldaten in Kriegsgebieten an Herzinfarkt oder Organversagen sterben, weil durch die stark erhöhte und lang anhaltende Ausschüttung der Stresshormone die Blutgefäße geschädigt werden. Wie lange und welchem Stress diese junge Frau ausgesetzt war, können wir nicht beurteilen, merkwürdig ist nur, dass ihre Organe bei der Einlieferung in die Klinik noch funktionierten. Wir haben uns dann noch ein bisschen weiter schlaugemacht und herausgefunden, dass Soldaten nach einem schweren Einsatz, wie zum Beispiel längeren Feuergefechten, plötzlich krank wurden und im Krankenhaus genauso plötzlich verstarben. Darüber gibt es entsprechende Literatur. Man stellte fest, dass das zentrale Nervensystem zusammengebrochen war und damit auch die Organfunktionen ausgeschaltet wurden. Aber das passierte erst nach der Stresssituation. So, und nun rätseln wir, ob die Stresssituation bei der Schweigert vorher schon da war oder ob sie erst auftrat, als sie auf der Autobahn auftauchte. Eine sogenannte Reizüberflutung könnte eine Ursache des Stresses sein, was aber bedeuten würde, dass sie vorher keinen äußeren Reizen ausgesetzt war. Dagegen sprechen allerdings etliche andere Faktoren, wie etwa ihr gepflegtes Äußeres. Fakt ist, sie wurde erst in der Klinik richtig krank, aber nicht, weil die Ärzte einen Behandlungsfehler gemacht haben, sondern weil das Nervensystem von jetzt auf gleich zusammengebrochen ist, und das nach anderthalb bis zwei Tagen Klinikaufenthalt. Ihr müsst euch das vorstellen wie eine Elektroleitung, die gekappt wird und euer gesamtes Haus lahmlegt. Kein Licht mehr, kein Strom, kein Warmwasser, keine Heizung, alles weg. Um so etwas zu erkennen, musst du ein erfahrener Spezialist sein und kannst unter Umständen mit entsprechenden Medikamenten und Behandlungen gegensteuern, indem du zum Beispiel die betroffene Person für eine Weile komplett ruhigstellst und isolierst und sie ganz allmählich wieder in das Leben vor der Gefangenschaft zurückführst. Aber in der Regel führt diese Art von Stress unweigerlich zum Tod. Haben Sie noch etwas, Professor?«
»Sie haben es wunderbar erklärt, dem ist nichts hinzuzufügen.«
»Danke. Tja, nun liegt es an euch, herauszufinden, was diesen Extremstress ausgelöst haben könnte. Wir haben keine Antwort gefunden. Sie hat sich in keinem Kriegsgebiet aufgehalten, sie wurde nicht misshandelt oder missbraucht, wir haben bei ihr sogar Reste einer exklusiven Bodylotion gefunden, die es nur in ausgewählten Parfümerien zu kaufen gibt. Aber das bestätigt nur die Aussage von Frank und auch der Klinik, dass sie bei ihrem Auffinden sehr sauber und gepflegt war. Jemand hat sie gewaschen oder gebadet und anschließend mit dieser Lotion eingerieben, und zwar von Kopf bis Fuß. Danach wurde sie freigelassen … Und alles Weitere wisst ihr besser als wir. Bei ihr ist wirklich alles komplett zusammengebrochen, und das muss sich innerhalb eines Tages, vielleicht sogar innerhalb von Stunden abgespielt haben. Nervensystem, Nieren, Leber, Herz, einfach alles. Bei multiplem Organversagen schläfst du in der Regel ruhig und friedlich ein. Aber ihr habt sie ja gesehen, kurz nachdem sie gestorben ist.«
»Also, ich hab die Kleine auf der Autobahn gefunden«, sagte Hellmer. »Das war Zufall oder Schicksal, dass ich gerade in dem Moment an der Stelle war. Sie hat in keinster Weise auf irgendetwas reagiert, nicht auf Ansprache, nicht auf die Lampe, mit der ihr in die Augen geleuchtet wurde, auf gar nichts. Sie zeigte nicht mal irgendwelche Reflexe an den Knien und Ellbogen. Ihr Blutdruck war im Keller, genau wie ihr Puls. Der Notarzt hat gesagt, ihn wundert, dass sie überhaupt noch aufrecht gehen kann. So oder ähnlich hat er sich ausgedrückt. Wie passt das zusammen?«
Andrea Sievers sah Bock an, der genauso ratlos wie seine junge Kollegin schien und schließlich das Wort ergriff: »Diese Frage haben wir uns auch gestellt, nachdem wir ein weiteres Mal die Ergebnisse der Erstuntersuchung durchgegangen sind. Wir haben leider keine befriedigende Antwort gefunden. Tut mir leid. Glauben Sie mir, ich möchte auch zu gerne wissen, was mit ihr passiert ist. Wir konnten lediglich diese außerordentliche Erhöhung der Stressoren feststellen. Was jedoch der Auslöser dafür war – darüber
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