Mörderische Tage
Andrea Sievers.
»Na ja, sie hat weder zu- noch abgenommen. Ich hab sie ja selber auf der Autobahn gesehen, sie sah jung und recht attraktiv aus.«
»Fragt Bock, er wird euch das beantworten können. Möglich ist auch, dass sie nicht allzu lange in Isolationshaft war, sondern nur für einen relativ kurzen Zeitraum, wobei für den einen zwei Tage schon zu viel sind, für den andern zwei Wochen. Viel zu viel wird es aber definitiv, wenn jemand über Monate hinweg dieser Folter ausgesetzt ist … Belassen wir's dabei, ich bin Laie auf dem Gebiet und habe mich ohnehin schon ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt.«
»Du hast uns trotzdem sehr geholfen, und wir werden die Infos nicht weitergeben, heiliges Ehrenwort.«
»Schon gut. Ich möchte wissen, welcher Mistkerl zu so was fähig ist. Wie kann man jemanden so quälen? Ich habe schon eine Menge Leichen auf den Tisch gekriegt, aber so eine noch nie. Wie weit seid ihr bei euren Ermittlungen?«
»Wir treten auf der Stelle«, antwortete Julia Durant seufzend und sah Andrea Sievers beinahe hilflos an. »Das ist die Wahrheit, und für jeden noch so kleinen Hinweis sind wir dankbar. Jetzt müssen wir aber los.«
»Wann fährst du in Urlaub?«
»Freitag ist mein letzter Tag, am Samstag sitz ich im Flieger.«
»Vielleicht hören wir uns vorher noch mal. Und irgendwann sollten wir mal wieder was essen gehen. Ist bestimmt schon ein Jahr her, oder?«
»Kann sein«, antwortete Durant müde. »Irgendwann.«
»Hey, zieh nicht so ein Gesicht, als würde gleich die Welt untergehen. Du kannst nichts dafür, dass da draußen ein Wahnsinniger rumläuft. Ihr kriegt ihn.«
»Fragt sich nur, wann. Gestern ist wieder eine Frau spurlos verschwunden.«
Andrea Sievers sah Durant mit großen Augen an. »Was? Schon wieder? Das wäre dann Nummer drei.«
»Oder Nummer fünf.«
»Wieso? Das versteh ich nicht.«
»Wir sind mittlerweile ziemlich sicher, dass die Morde an Weiß und Peters auch auf sein Konto gehen. Es gibt einige Anzeichen dafür. Aber das bleibt auch unter uns.«
Andrea Sievers antwortete nichts mehr darauf, drückte ihre Zigarette aus und nahm Julia Durant in den Arm. »Es ist nicht deine Schuld, wenn er noch nicht gefasst wurde.«
»Ich weiß. Trotzdem geht mir das alles tierisch auf den Senkel. Mach's gut.«
»Schreib mal 'ne Karte, wenn du Lust und Zeit hast. So, und ich muss wieder in mein Refugium, wo keine blöden Fragen gestellt werden. Meine Kunden halten die Schnauze.«
»Hm.«
Während der Fahrt nach Griesheim fragte Hellmer: »Wenn das mit der Isolationshaft stimmt, dann muss unser Mann einen Ort haben, wo er völlig ungestört seinem Treiben nachgehen kann. Irgendwo, wo es keine Nachbarn gibt. Ein freies Gelände mit einem Haus, das unterkellert ist, ähnlich einem Verlies.«
»Möglich.«
»Äußerst wahrscheinlich sogar. In einem Mehrparteienhaus funktioniert so was nicht. Und in einer Wohnsiedlung auch nicht. Da sind einfach zu viele Menschen. Er muss ein etwas abgelegenes Haus haben. Gleichzeitig gehe ich aber davon aus, dass er soziale Kontakte pflegt. Und dumm ist er auch nicht.«
»Das haben wir doch alles schon besprochen. Frank, ich habe keine Lust mehr, im Konjunktiv zu reden. Ich brauche Ergebnisse, sonst kriegen wir bald mächtig Druck. Und der wird nicht nur von innen, sondern ganz besonders von außen kommen.«
»Und wenn? Wir können auch nicht mehr tun, als uns den Arsch aufzureißen. Außerdem bist du doch sowieso erst mal aus der Schusslinie.«
»Ihr kriegt das schon geregelt«, antwortete Julia Durant und blickte aus dem Seitenfenster. Ihr ungutes Gefühl, ausgerechnet jetzt wegzufahren, verstärkte sich, viel lieber hätte sie ihren Kollegen bei den Ermittlungen zur Seite gestanden, nein, gestand sie sich ein, am liebsten hätte sie die Ermittlungen, wie in den letzten Monaten, geleitet. Seit zwölf Jahren hatte es kaum einen Fall gegeben, wo sie nicht die Leitung innegehabt hatte. Andererseits war ihr seit letztem Herbst klargeworden, wie wichtig es war, dass sie ihrem Körper und ihrer Seele etwas Ruhe verschaffte. Immerzu diese Sorge im Kopf, ohne sie würde alles zusammenbrechen. Ich muss abschalten, sonst werde ich irgendwann zusammenbrechen, dachte sie mit Tränen in den Augen, die sie verstohlen wegwischte. Und Berger und die anderen würden mich sowieso nicht im Präsidium dulden. Ich bin eine blöde Kuh, der Laden läuft auch ohne mich. Ich bin so müde, so unendlich müde. Sollen die doch ohne mich zurechtkommen.
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