Mörderische Tage
denn er hat erst vor knapp acht Monaten mit dem Morden begonnen. Fragen wir doch im Archiv nach, wer sich in letzter Zeit für den Fall Gernot interessiert hat.«
Sie griff zum Hörer: »Durant hier. Frage – hat sich außer uns in den letzten Monaten oder Jahren jemand für die Akte Gernot interessiert? … Ah, verstehe … Nein, nein, war nur eine Frage … Danke für die Auskunft.«
Sie legte auf, zog die Stirn in Falten und meinte: »Okay, war einen Versuch wert.«
Doris Seidel meldete sich zu Wort. »Also, ich weiß nicht, ob wir damit auf der richtigen Fährte sind. Angenommen, unser Mann ist so intelligent, wie wir vermuten, dann wird er nicht so blöd sein und seinen Namen in unserem Archiv hinterlegen. Da unsere Abteilung für die Ermittlungen zuständig ist, wird er auch wissen, dass unser Chef den Fall zumindest kennt. Sein Spiel ist komplizierter und nicht so leicht durchschaubar. Ich stimme dir inzwischen in allem zu, was du vorgebracht hast, aber ich gebe zu bedenken, dass wir noch mindestens hundert Schritte hinter ihm sind und er immer schneller wird …«
»Da hast du wohl recht, aber wir werden ab sofort die Aufholjagd starten. Denk an einen Marathonlauf oder den Ironman, da ist jemand lange Zeit in Führung, und mit einem Mal kommt einer von hinten angeschossen und überholt ihn.« Ihr Blick drückte Entschlossenheit aus, als sie fortfuhr: »Und glaub mir, wir werden ihn kriegen.«
Kullmer meinte lakonisch: »Fragt sich nur, wann. Nach dem zehnten oder nach dem zwanzigsten Opfer? Julia, wir kennen weder sein Gesicht noch seinen Namen, noch haben wir einen Anhaltspunkt dafür, warum er diese Morde kopiert. Er hat sich bis jetzt nicht bei uns gemeldet, und er wird es voraussichtlich auch nicht tun. Wir haben weder seine Fingerabdrücke noch seine DNA. Wir haben keine Fasern, keine Stoffreste, nicht einmal Reifenspuren an den Fundorten. Wir haben nichts, aber auch rein gar nichts. Er will uns demütigen und uns mit höhnisch ausgestrecktem Finger zeigen, dass wir ihm nicht gewachsen sind. Ich denke, in seinem Spiel sind die Opfer nur Figuren, der eigentliche Gegner sind wir. Und er lacht sich ins Fäustchen, weil er merkt, wie bescheuert wir doch sind.«
»Das ist richtig. Aber das mit den Figuren … Gernot war doch ein genialer Schachspieler. Auch das wird unser Täter wissen. Nehmen wir an, dass es ihm beim Morden nicht um die Opfer, sondern um das Spiel an sich geht …«
»Frau Durant, ich möchte an dieser Stelle abbrechen«, wurde sie von Berger in ihrem Redefluss gestoppt. »Erstens wiederholen Sie sich, und zweitens halte ich es für unsinnig, unsere kostbare Zeit mit Spekulationen zu verschwenden. Für das Erstellen eines Täterprofils, das uns mit Sicherheit auch zu einem möglichen Motiv führen wird, wird uns Herr Holzer zur Verfügung stehen. Er ist eine Kapazität auf diesem Gebiet. Wenn uns überhaupt noch jemand helfen kann, dann wohl er.«
»Aber solange ich noch im Dienst bin …«
»Die ziemlich genau zweieinhalb Tage, die Sie noch bei uns sind, dürfen Sie Ihre ganz normale Ermittlungsarbeit leisten. Sie haben heute noch einiges vor, wenn ich mich recht entsinne. Also machen Sie sich an die Arbeit. Ich werde Ihre und unsere Erkenntnisse Herrn Holzer mitteilen, alles andere überlassen wir ihm. Einverstanden?«
»Muss ich wohl«, entgegnete sie ein wenig pikiert.
Während sie zurück in ihre Büros gingen, sagte Durant zu Kullmer und Seidel: »Lasst euch vom Verlag die Adresse von einem gewissen Günter Schwarz geben, ein Autor. Der hatte es auf die Uhlig abgesehen, hat ihre Freundin uns berichtet, das heißt, er hat sich an sie rangemacht und wohl auch belästigt. Kümmert euch um den Kerl und tretet ihm ruhig auf die Füße. Ich will von ihm ein wasserdichtes Alibi für vorgestern Nacht haben. Und dann schaut euch noch mal in der Wohnung der Uhlig um und befragt vor allem die Bewohner nicht nur im Haus, sondern auch in der Nachbarschaft, was sie über die Uhlig sagen können, ob jemand was gesehen oder bemerkt hat … Ihr wisst schon. Falls nichts dazwischenkommt, treffen wir uns heute Abend hier. Ansonsten hab ich nichts mehr.«
»Reicht auch. Julia, um die ganze Nachbarschaft abzugrasen, brauchen Doris und ich eine Woche. Ich sag nur: Verstärkung.«
»Besprecht das mit Berger. Tut mir leid, wenn ich ein bisschen gereizt bin, mir wächst das alles über den Kopf.«
»Uns allen wächst das über den Kopf, falls du das noch nicht gemerkt hast. Und jetzt, wo wir
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