Mörderische Tage
gewedelt. Beide waren sofort gern bereit, ihm diesen Wunsch zu erfüllen. Es wurde eine Fahrt ohne Wiederkehr. Vor ihnen hatte er nur Weiß und Peters in dieses Verlies gebracht, die ersten Figuren in seinem Spiel, dessen Regeln die Polizei bis heute nicht verstanden hatte und vermutlich nie verstehen würde.
Die Zelle war in gleißendes Licht getaucht, das selbst durch geschlossene Augen noch wahrgenommen wurde, alle sechzig Minuten dröhnten für eine halbe Stunde entweder hämmernder Technobeat oder genauso schneller Speed Metal aus versteckt angebrachten Lautsprechern. Die ersten Wochen waren für Paulina und Karolina die reinste Hölle gewesen. Sie hatten teilweise stundenlang geschrien, an den Wänden gekratzt, bis ihre Finger blutig waren, hatten mit den Köpfen gegen die Wände und die Tür gedonnert, hatten die Pritsche zerlegt, bis er einschritt und ihnen mit der neunschwänzigen Katze zeigte, dass er mächtiger war. Es hatte nicht vieler Schläge bedurft, bis sie begriffen hatten, dass er der Herr und Meister war. Seitdem waren sie ruhig geblieben, wohl in der Hoffnung, wenn sie sich ihm bedingungslos unterwarfen, irgendwann aus diesem Gefängnis entlassen zu werden. Er sagte nichts, deutete nur auf das Brot und den noch vollen Metallkrug.
»Wir essen und trinken schon noch«, sagte Karolina in gebrochenem Deutsch und setzte sich aufrecht hin. »Wir hatten nur bis jetzt keinen Hunger und auch keinen Durst.«
»Wenn ihr nicht innerhalb der nächsten zwei Stunden gegessen und getrunken habt, wird das Licht etwas greller und die Musik länger und noch lauter sein. Wollt ihr das?«
Beide schüttelten den Kopf.
»Ich sehe, wir haben uns verstanden. Das mit eurer schlechten Esserei geht jetzt schon seit drei Monaten so, und ich habe keine Lust, mich andauernd zu wiederholen. Kapiert?«
Beide nickten nur, Paulina nahm einen letzten Zug von ihrer Zigarette und drückte sie aus, Karolina erhob sich vom Bett, und beide begannen sofort im Knien zu essen und zu trinken. Wie wilde Tiere schlangen sie die karge Gefängnismahlzeit in sich hinein.
»Na also, geht doch. Und in Zukunft bitte ohne Drohungen. Wir sehen uns nachher noch einmal.«
Karolina stand auf, kam auf ihn zu und fragte das, was sie schon zigmal gefragt hatte: »Wie lange sind wir schon hier?«
»Was glaubst du denn?«
»Ein halbes Jahr?«
»Nicht schlecht. Und jetzt mach dich sauber und leg dich wieder aufs Bett, sonst muss ich dir leider weh tun. Braucht ihr Zigaretten?«
»Ja, bitte«, antwortete Paulina.
Er nickte nur, machte die Tür hinter sich zu und schloss ab. Zuletzt sah er nach Pauline Mertens, eine alleinstehende Frau ohne Angehörige, die völlig isoliert gelebt hatte, bis sie ihn traf. Zweiundvierzig Jahre alt, eine verhärmte und verbitterte Person mit einem durchschnittlichen Gesicht, schlecht frisierten Haaren und einer fast grauen Haut, eine Frau, der niemand auf der Straße die geringste Beachtung geschenkt hätte. Doch mit einem Mal war er da gewesen, eines Abends, als sie die halbvolle Mülltüte zur Tonne brachte, mit nichts bekleidet als einem ausgeleierten Hausanzug und Hausschuhen. Es war in einer der kältesten Nächte im Februar, und es ging blitzschnell. Sie merkte gar nicht, wie die Spritze in ihren Hals drang, wie er sie mit einem geübten und lange einstudierten Griff zum Auto brachte und mit ihr wegfuhr. Sie gehörte zu jenen, die eigentlich nicht in sein Opferprofil passten, sie war einfach zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen. Eine Zufallsbegegnung. Und die Frau, die ihn am wenigsten von allen anderen interessierte. Dafür würde er ihren Tod zelebrieren, wenn sie schon sonst nur ein ödes Gesicht in der Menge war, unscheinbar, bedeutungslos, unnütz. Wie Detlef Weiß und Corinna Peters. Niemande, ein Ausdruck, den er für Opfer kreiert hatte, die so bedeutungslos waren, dass es gleichgültig war, ob sie lebten oder tot waren. Alle anderen hatte er gezielt ausgesucht, Jacqueline Schweigert, Karin Slomka und Franziska Uhlig, und natürlich Paulina und Karolina.
Bereits seit sieben Wochen verbrachte Pauline Mertens ihre Zeit in beinahe vollkommener Dunkelheit und vollkommener Isolation, nur unterbrochen von seinen täglichen Besuchen und klassischer Musik, die jede Stunde für zehn Minuten spielte. Kein Laut drang von außen in die Zelle, selbst wenn andere schrien, hörte sie es nicht. So wie keine seiner Gefangenen auch nur einen Laut aus einer anderen Zelle wahrnahm.
Er blieb nur wenige Minuten,
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