Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mörderische Weihnacht

Mörderische Weihnacht

Titel: Mörderische Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
Vom Netzwerk:
verloren, und er hatte eine ganze Weile sehr vorsichtig auftreten und sich unterwürfig geben müssen, um das behalten zu dürfen, was er noch besaß.
    Jetzt lag ihm nur noch eine Sache am Herzen, nämlich seine Position so zu erhalten, wie sie war, und den Rest seines Besitzes heil seinem Sohn zu übergeben. Der Tod hatte ihm nie gedroht, denn so tief war er nicht verwickelt gewesen. Aber Besitz ist Besitz, und er war kein junger Mann mehr und nicht bereit, sein Land aufzugeben und über das Meer in die Normandie oder nach Anjou zu fliehen, wo er nicht als Edelmann galt, oder nach Gloucester, um für die Lehnsherrin die Waffen zu nehmen, denn dies hatte ihn schon einmal viel gekostet. Nein, es war viel besser, stillzusitzen, jede Versuchung zu meiden und die alten Bündnisse zu vergessen.
    Nur so konnte er sicher sein, daß der junge Ralph, der an diesem Weihnachtsfest daheim glücklich den Herrn spielte, den langen Streit um die Krone ohne Verlust überlebte, ganz egal, welcher der beiden Parteien schließlich siegte.
    Ralph dankte um Mitternacht tief und aufrichtig für die Gnaden, die den Menschen und nicht zuletzt ihm selbst erwiesen wurden.
     
    Benet huschte durch die Gemeindetür in die Abteikirche und arbeitete sich langsam zu einer Stelle vor, von der aus er ins Chorgestühl blicken und die Mönche an ihren Plätzen beobachten konnte, die im sanften gelben Schein der Kerzen und dem roten Glühen der Altarlampen ihre Psalmen sangen.
    Die Lieder hallten gedämpft und leise durch das Kirchenschiff.
    Die Beleuchtung war trüb, und die in Mäntel gehüllte Laienschaft der Vorstadt rührte und regte sich, kniete und erhob sich wieder, eine Masse namenloser Gesichter. Es war noch eine Weile Zeit, bis die Mitternachtsmesse begann, in welcher der fleischgewordene, von der Jungfrau geborene Sohn Gottes gefeiert werden sollte. Warum sollte nicht der Heilige Geist, so wie Feuer ein anderes Feuer und Licht ein anderes Licht entzünden kann, das notwendige Instrument des Fleisches auf die gleiche Weise entfachen, da es doch seine Substanz hergibt, um Wärme und Erleuchtung erst zu ermöglichen? Wer fragt, hat sich schon der Antwort beraubt, aber Benet fragte nicht. Er atmete schwer und schnell und aufgeregt und sogar verzückt, denn das Risiko war für ihn wie Wein. Aber hier im Dunkel, das zugleich bevölkert und öde schien, verlor er sich in Ehrfurcht wie das Kind, das er nie ganz hinter sich lassen würde. Er stellte sich hinter eine Säule; viel eher, um sich zu stützen, als um sich zu verstecken, und legte eine Hand an den kalten Stein, um zu lauschen und abzuwarten. Die singenden Stimmen, so leise sie auch waren, füllten die weite Kuppel. Der Stein droben, erwärmt von der Musik, reflektierte das Strahlen zum Stein drunten.
    Er konnte Bruder Cadfael in seinem Kirchenstuhl erkennen und rückte etwas näher, um ihn deutlicher zu sehen. Vielleicht hatte er seinen Standort gewählt, um den Menschen im Blick zu haben, der ihm an diesem Ort am nächsten war, einen Mann, der schon kompromittiert war, tolerant und bereit, die stille Absprache zu befolgen, daß keiner des anderen Seelenfrieden stören würde. Nur noch eine kleine Weile, dachte Benet, dann bist du mich los. Wirst du es bedauern, wenn du nie wieder von mir hörst? Und er fragte sich, ob er ein deutliches Wort aussprechen sollte, ein Wort, an das man sich erinnern konnte, solange noch Zeit blieb.
    Eine leise Stimme, gerade laut genug, um nicht flüsternd zu zischen, hauchte ihm ins Ohr: »Ist er nicht gekommen?«
    Benet wandte ganz langsam, benommen und furchtsam den Kopf, denn es konnte gewiß nicht jene Stimme sein, die er erst ein einziges Mal und nur kurz gehört hatte und die dennoch sein ganzes Wesen ins Schwingen gebracht hatte. Doch sie war es, sie stand rechts neben seiner Schulter, die unvergeßliche Frau. Das trübe, trügerische Licht beleuchtete ihr Gesicht unter der dunklen Kapuze, die breite Stirn, die weit auseinanderliegenden, tiefblauen Augen. »Nein«, sagte sie, »er ist nicht gekommen!« Und nachdem sie sich selbst die Antwort gegeben hatte, seufzte sie schwer. »Ich hätte auch nicht geglaubt, daß er kommen würde. Bewege dich nicht, dreh dich nicht zu mir um.«
    Er drehte den Kopf gehorsam zum Gemeindealtar. Ihr Atem strich ihm über die Wange, als sie sich herüberbeugte. »Du weißt nicht, wer ich bin, aber ich kenne dich.«
    »Ich kenne dich auch«, erwiderte Benet ebenso leise. Nicht mehr, und selbst diese Worte sprach er wie ein

Weitere Kostenlose Bücher