Mörderische Weihnacht
gestern abend, als ich zur Komplet aus der Stadt zurückkam. Kaum fünfzig Schritte vor dem Torhaus war es, und er ging eilig zur Brücke.«
Prior Robert drehte sich stirnrunzelnd zum ungeratenen Zeugen um und biß sich zweifelnd auf die Unterlippe, da er nicht wußte, wie es weitergehen sollte. »Hat er mit Euch gesprochen? Wißt ihr, wohin er in solcher Eile wollte?«
»Nein. Ich habe ihn angesprochen«, erwiderte Cadfael trocken, »aber er hatte es zu eilig, um mich zu bemerken. Nein, ich weiß nicht, wohin er wollte. Aber er war es. Ich sah ihn im Licht der Fackeln unter dem Tor. Ich habe ihn erkannt.«
Die Frau starrte ihn mit verquollenen, hohlen Augen und unbewegtem Gesicht an. Sie bemerkte nicht, daß die Kapuze von ihrer Stirn zurückglitt und eine große, bleifarbene Prellung auf der linken Schläfe entblößte. in der Mitte war sogar eine offene Wunde, die von getrocknetem Blut umgeben war.
»Ihr seid verletzt!« sagte Cadfael und zog, ohne um Erlaubnis zu bitten, die Kapuze ganz herunter und drehte ihr Gesicht ins Morgenlicht. »Da habt Ihr aber einen schlimmen Schlag bekommen. Die Wunde muß versorgt werden. Wie ist das geschehen?«
Sie zuckte unter seiner Berührung zusammen, doch dann ergab sie sich mit einem resignierten Seufzen. »Ich ging in der Nacht hinaus, weil ich mir Sorgen machte. Ich wollte sehen, ob sich irgendwo etwas regte, ob es ein Zeichen von ihm gab. Die Türschwelle war überfroren, ich bin gestürzt und habe mir den Kopf angeschlagen. Ich habe die Wunde schon ausgewaschen, das ist nichts.«
Cadfael nahm ihre Hand und drehte sie um. Die Innenfläche war von drei oder vier Kratzern aufgerissen. Er nahm ihre zweite Hand und sah diese ebenso verletzt. »Nun, Ihr habt Euch sicher Schlimmeres erspart, als Ihr die Hände zu Hilfe genommen habt. Aber laßt sie mich verbinden, und Eure Stirn auch.«
Prior Robert, der hinter ihnen stand, starrte ins Leere und überlegte, was zu tun sei. »Ich frage mich wirklich… wenn Vater Ailnoth um diese Stunde und in solcher Eile ausging, dann kann er auch irgendwo gestürzt sein und sich so schwer verletzt haben, daß er hilflos liegenblieb. Der Frost begann schon gestern abend…«
»Richtig«, sagte Cadfael, der sich an den gläsernen Glanz in der steil ansteigenden Wyle und an das eisige Klirren seiner eigenen Schritte auf der Brücke erinnerte. »Und ziemlich scharf sogar! Und ich würde nicht sagen, daß er auf den Weg achtete, als ich ihn sah.«
»Sicher ein Gang der Barmherzigkeit…« murmelte Robert besorgt. »Er wollte sich nicht schonen…«
Nein, weder sich selbst noch eine andere Seele! Allerdings, diese hastigen Schritte mochten ihn zu einer trügerischen Stelle geführt haben.
»Wenn er die ganze Nacht hilflos in der Kälte gelegen hat«, sagte Robert, »dann kann er sich den Tod geholt haben. Bruder Cadfael, versorgt Ihr die Dame und tut, was nötig ist. Ich will mit dem Vater Abt sprechen, denn ich glaube, wir müssen alle Brüder und Laienbrüder zusammenrufen und sofort nach Vater Ailnoth suchen, wo immer er auch sei.«
Im Schutz der dunklen, stillen Hütte im Garten setzte Cadfael seine Schutzbefohlene auf die Bank an der Wand und wandte sich zu seiner Kohlenpfanne um, die er für den Tag aufdeckte.
Er versorgte sie den ganzen Winter über mit Torf, damit sie sofort bereit war, wenn er sie brauchte. In den anderen Jahreszeiten ließ er sie ausgehen, weil sie leicht wieder zu entzünden war. Seine Gebräue brauchten zwar keine große Wärme, aber es gab doch einige, denen ein scharfer Frost nicht gutgetan hätte.
Die dicken Torfstücke, die auf der Glut lagen, waren noch ganz frisch und ordentlich aufgebaut, und das Feuer darunter lebendig und warm. Jemand war in der Nacht hiergewesen, und zwar jemand, der wußte, wo er Lampe und Zunder finden konnte, ohne etwas anderes durcheinanderzubringen, und wie das Feuer versorgt werden mußte, nachdem er sie gefunden hatte. Der junge Benet hatte nur wenige Spuren hinterlassen, aber genug, um ihn als nächtlichen Eindringling zu verraten.
Selbst bei Nacht verstellte er sich Cadfael gegenüber kaum und gab sich eher Mühe, alles ordentlich zu hinterlassen, als sein Eindringen zu verbergen.
Cadfael wärmte Wasser in einem Tiegel und löste eine Lotion aus Zehrkraut, Beinwell und Gänseblümchen auf, um die aufgebrochene Prellung auf der Stirn und die tiefen Kratzer in den Handflächen zu versorgen. Die Kratzer liefen als dunkle Striche vom Handgelenk bis zu den Wurzeln
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