Mörderischer Auftritt
Trivialwissen angefüllten Hirn einmal teilnehmen müsste. Ein Mann steckte bei der 125 000-Dollar-Frage fest, und ich sagte ihm gerade, er solle aufhören, die 64 000 Dollar nehmen und sich davonmachen, als ich ein heftiges Klopfen an der Hintertür vernahm.
»Fred«, sagte ich. »Jemand ist an der Hintertür.«
Er zog sich die Wolldecke dichter um die Schultern und seufzte leicht.
Das nächste Klopfen war insistierender. Vielleicht ist es Mary Alice, dachte ich. Sie war wie die Post. Weder Regen, Graupel noch Schnee konnten sie von ihren festgelegten Routen abbringen – und ich gehörte weiß Gott zu einer ihrer festgelegten Routen.
Ich stand just in dem Moment auf, als der Mann im Fernsehen seinen Verstand wiederfand und sich für das Geld entschied. Gut. In der Küche angekommen, drehte ich das hintere Licht an. Eine hochgewachsene Gestalt mit schwarzer Kapuze stand an der Tür, die Hand zu einem neuerlichen Klopfen erhoben. Mein Herz setzte ein paar Schläge lang aus.
»Tante Pat, ich bin’s!«
Ich öffnete die Tür. »Mein Gott, Marilyn, dir hat nur noch die Sense in der Hand gefehlt.«
»Was?«
»Schon gut, Schätzchen. Ich habe dich einen Moment lang nicht erkannt. Komm rein. Du bist ja völlig durchnässt.«
Unbeholfen versuchten wir, uns unter Umgehung des nassen Regenmantels zu umarmen, was schließlich in Lachen und damit endete, dass Marilyn sich zu mir herabbeugte und mich auf den Kopf küsste. Wie ihre Mutter ist sie 30 Zentimeter größer als ich. Anders als ihre Mutter ist sie dünn. Darüber hinaus ist sie hübsch, mit dunkelbraunen Naturlocken, olivfarbener Haut und großen braunen Augen. Sie wirkt exotisch in unserer blassen Familie, und sie verstand es immer, dies durch das Tragen von leuchtenden Farben und langen, fließenden Röcken zu unterstreichen.
»Sie sieht aus wie eine Zigeunerin«, habe ich ihre Mutter jammern hören. »Und warum schneidet sie sich nicht die Haare? Sie stehen ab wie ein dickes Bündel Stahlwolle.« Ich habe aber auch Haley und Debbie gehört, die sich wünschten, wie Marilyn auszusehen.
Aber an diesem Abend sah sie überhaupt nicht wie eine Zigeunerin aus. Als der Regenmantel fiel, sah ich, dass ihr Haar nach hinten gekämmt war und im Nacken mit einer Haarspange zusammengehalten wurde. Sie trug Jeans, einenroten Pullover und Laufschuhe, und ihre Augen waren verschwollen, als habe sie geweint.
»Habe ich dich erschreckt? Das tut mir leid.«
»Nur einen kurzen Moment.« Ich hängte ihren Mantel an die Speisekammertür. »Hast du schon etwas zu Abend gegessen?«
»Ich hatte einen Cheeseburger in Montgomery. Wo ist Onkel Fred?«
»Er schläft im Wohnzimmer. Montgomery ist aber schon eine ganze Weile her. Warum siehst du nicht zu, dass du trocken wirst, und ich mach dir was zu essen. Wir haben noch Kartoffelsalat und gebackene Bohnen übrig. Und ich kann dir ein Käsesandwich in den Grill tun.«
»Das klingt wundervoll.«
In diesem Moment klingelte das Telefon.
»Falls das Mama ist – du hast mich nicht gesehen. Bitte, Tante Pat.«
»Okay, Schätzchen.« Aber es war nicht Mary Alice, es war eine karitative Einrichtung für misshandelte und obdachlose Frauen, die ankündigte, dass ihr Lastwagen am Donnerstag bei uns im Viertel eine Runde drehen würde. Ich war erleichtert. Was auch immer da los war, Mary Alice war Marilyns Mutter. Ich wollte nichts vor ihr verbergen müssen.
»Hallo, Onkel Fred«, hörte ich Marilyn sagen. Das Telefon musste ihn geweckt haben.
»Hallo, Süße. Was machst du denn hier?«
»Eine lange Geschichte. Ich versuche jetzt erst mal, trocken zu werden. Ich erzähl dir dann alles.«
Ich schloss den Grill an und holte Käse, Butter und Dill-Essiggurken aus dem Kühlschrank. Falls der Kaffee nicht mehr heiß war, könnte ich eine Tasse in die Mikrowelle stellen. Außer, Fred wollte auch noch einen, dann würde icheine weitere Kanne kochen müssen. Ich schaute ins Wohnzimmer und sah, dass er schon wieder eingeschlafen war. Das Erkennungslied von ›Wer wird Millionär?‹ lief.
War Marilyn auf der Flucht vor Charles Boudreau? Oder auf der Flucht zu ihm hin? Ich hatte ihr jedenfalls eine mit Sicherheit seltsame Nachricht zu übermitteln. Und warum wollte sie nicht, dass ihre Mutter von ihrer Anwesenheit erfuhr? Warum war sie hier?
»Es war schrecklich zu fahren heute Abend«, sagte sie, als sie wieder in die Küche kam. »Hinter Montgomery hat es unablässig geregnet.« Sie langte über den Tresen und kostete einen Bissen von dem
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