Mörderischer Stammbaum
der Brusttasche getragen wird — ein erfrischender Ton.
TKKG waren auf dem Rückweg in
die Innenstadt und jeder — außer Klößchen, denn der hatte Hunger — dachte nach
über das Gespräch mit Petra Delius.
Karl hatte mit großartiger
Geste das schnurlose Telefon hervorgezogen und meldete sich.
„Ja, Herr Glocker! — Aha! —
Verstehe! — Danke für den Anruf! — Machen wir natürlich. — Ist ja riesig nett.
— Wiederhören!“
Er schob das Handy in die
Tasche zurück.
„Das war dein Vater, Gaby. Habt
ihr mitgekriegt, wie? Die Helga Hoppenheide hat eben bei ihm angerufen und...“
„Wer?“, rief Klößchen von
hinten, wo er wieder als Schlusslicht fuhr.
„Die Übersetzerin für
Chinesisch, an der sich der Beißer den Zahn ausgebissen hat“, erwiderte Karl.
„Also, sie lädt uns ganz auf die Schnelle zu einer Pizza-Orgie ein. In die
Pizzeria Rosso am Neumarkt. Frau Helga ist nämlich noch was eingefallen. Deinem
Vater, Gaby, hat sie’s schon gesagt. Uns will sie aber auch informieren. Die
Einladung ist jedoch als Dankeschön zu verstehen, weil wir heute Mittag so
beherzt zur Stelle waren.“
„Großartig!“, brüllte Klößchen.
„Ich dachte schon, ich würde sterben innerhalb der nächsten Stunde. Diesen
Nahrungsentzug seit einer Ewigkeit, den halte ich im Bauch nicht aus.“
„Was ist ihr noch
eingefallen?“, fragte Tim und hatte damit laut gedacht. Ja, es musste ein
erinnerungsmäßiger Nachtrag zum Beißer sein. Eine Beobachtung, die Helga
unbewusst gemacht hatte und die jetzt erst hervorkam.
„Hat Herr Glockner nicht
gesagt“, erwiderte Karl.
Das ,Rosso’ war teils Pizzeria,
teils Restaurant — vorn volkstümlich mit günstigem Preis-Leistungs-Verhältnis,
hinten exklusiv und ziemlich teuer. Helga Hoppenheide saß vorn, aber nahe am
Eingang zum Restaurant. Vorn war alles voll, hinten langweilten sich drei
Kellner. Sie trugen rote Westen und zumindest einer hatte sich die Haare
gewaschen. Helga lächelte erfreut und TKKG gaben ihr alle die Hand. Oskar
verschwand gleich unterm Tisch, wo Isabella, die kleine Mischlingshündin lag.
Aber Gaby zog ihren Vierbeiner sofort auf ihre Seite, denn Isabella war läufig
und wie leicht kommt’s da zu einem Wurf junger Hunde.
„Danke für die Einladung!“,
sagte Tim und nahm seine Baseballmütze ab.
„Ich habe mich erholt von dem
Schrecken.“ Helga lächelte. „Aber die Einzelheiten verarbeite ich erst nach und
nach.“
„Man wird ja auch nicht jeden
Tag überfallen“, meinte Klößchen. Er sagte es über den Rand der Speisekarte,
die er bereits las. Natürlich entschied er sich für die extragroße Riesenpizza
mit allem drauf.
Bestellung. Stimmengewirr. Am
Nebentisch wurde fürchterlich gequalmt. Italienische Musik rieselte aus
versteckten Lautsprechern und die Getränke wurden rasch serviert.
„Er trug ja diese Maske“, sagte
Helga halb in ihr Rotweinglas, aus dem sie soeben genippt hatte. „Aber bei dem
Ringkampf habe ich ihm eine reingehauen. Gegen die linke Kopfseite, gegen das
linke Ohr. Und dabei — wie ich mich jetzt erinnere — habe ich den Ohrring
gespürt. Ich bin mir ganz sicher, dass er am linken Ohr einen Ring trug.“
Na, dachte Tim. Die Hinweise
mehren sich. Fehlender Vorderzahn unten, Ohrring links. Großer kräftiger Typ.
Der Beißer kriegt Kontur. Aber leider trifft das alles auf zu viele zu.
„Sind Sie sicher, Frau Helga,
dass der Beißer ein Mann ist?“, fragte Klößchen.
Sie schaute verblüfft. „Also,
da bin ich mir ganz sicher.“
„Klößchen“, sagte Gaby, „wir
leben doch in einer Zeit, in der sich der männliche Geschmack dem weiblichen
angleicht — und umgekehrt. Jeder dritte Typ lässt sich piercen und hängt sich
was Metallisches in die künstlichen Löcher der Haut.“
„Stimmt!“ Klößchen grinste.
„Nasenringe, Sicherheitsnadeln in den Augenlidern und in der Zunge, Metallring
im Bauchnabel zum Festbinden der Unterhose. Warum soll da der Beißer nicht
wenigstens einen Ohrring tragen. Piraten hatten sie ja auch. Früher.“
„Der Freibeuter, Bukanier,
Filibuster, Korsar oder Seeräuber“, sagte Tim, „der im 17. und 18. Jahrhundert
unter schwarzer Flagge segelte, hatte tatsächlich üppiges Ohrgehänge aus Silber
und/oder Gold. Aber er trug das nicht, um sich zu schmücken, sondern aus
umweltbedingter Notwendigkeit. Auf hoher See herrschen nämlich atmosphärische
Strahlungen, die einem Dauersegler, der außerdem Überfälle machen muss,
gewaltig auf den Keks gehen,
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