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Mörderischer Stammbaum

Mörderischer Stammbaum

Titel: Mörderischer Stammbaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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der
Zahnarzt noch heldenhaft und beobachtete durchs straßenseitige Fenster, wie
Kovechlusers Wagen auf den Patienten-Parkplatz rollte und hielt. Der Schwager
stieg aus und kam zum Eingang der Praxis. Dann hörte Bachrippe Schritte im
Warteraum und öffnete die Tür.
    „Nett, dass du mich noch dran
nimmst“, sagte der Bauunternehmer und schüttelte Bachrippe die Hand.
    „Wenn es so dringend ist.“
    „So... kann... ich doch nicht
rumlaufen?“, Kovechluser zog mit dem Zeigefinger die Unterlippe herab. „Mit so
einer Lücke.“
    Bachrippe hatte ein
Vollmondgesicht mit blonder Hornbrille, verengte jetzt etwas die Augen und
stellte fest, dass einer der unteren Vorderzähne — der Zweier, rechts — herausgebrochen
war. Glatt und sauber samt Wurzel. Die Wunde sah noch blutig aus, war aber
nicht arg.
    „Wie ist denn das passiert?“
    „Heute Nachmittag auf der
Baustelle. Bin im Lehm ausgerutscht. Bialke, mein Vorarbeiter, hat noch
,Achtung, ChefP gebrüllt. Aber ich bin schon gesegelt. Voll drauf auf einen
Haufen Eisenschrott. Vor Schreck hatte ich wohl den Mund offen — aufgerissen.
Aber ich habe die Stahlstange nicht bemerkt, die da rausragte. Himmel, es hätte
mich ein Auge kosten können. Zum Glück bin ich nicht mit dem Auge auf die
Spitze drauf, sondern mit den unteren Zähnen. Und den hat’s mir rausgestoßen.“
    „Wo hast du den Zahn?“
    „Keine Ahnung. Der liegt dort
irgendwo im Dreck.“ Kovechluser hatte sich auf den Behandlungsstuhl gesetzt.
Der Zahnarzt schaltete die Lampen ein, legte seinem Schwager eine Serviette um,
nahm für sich selbst den Mundschutz und fuhrwerkte dann mit Mundleuchte und
Mundspiegel zwischen Kovechlusers Zahnreihen herum.
    „Der Kieferknochen ist in
Ordnung. Die Zähne daneben auch. Den Zweier ersetzen wir. Du kriegst einen
Stiftzahn. Das schaffen wir in einer Sitzung. Gleich. Mein Abendessen kann
warten. Ich bin ohnehin auf Diät.“
    „Ich finde, du hast schon
abgenommen“, meinte Kovechluser.
    „Und ob. Anderthalb Kilo.“
    „Super!“
    „Zwölf Kilo müssen runter. Dann
habe ich Normalgewicht.“
    „Schaffst du.“
    „Bis Weihnachten. Habe ich mir
vorgenommen. Aber dann gibt es Gänsebraten, Gänsebraten, Gänsebraten. Und ich
bin wieder da, wo ich angefangen habe.“
    „Unser Schicksal“, seufzte
Kovechluser. „Musst du bohren? Tut’s weh?“
    „Nicht die Bohne! Und wenn,
dann kriegst du eine Injektion.“
    „Erzähl bitte niemandem, dass
ich mir den Zahn ausgeschlagen habe. Ist irgendwie zu lächerlich. Sogar Bialke
musste sich das Lachen verkneifen.“
    „Klar. Durch mich wird dein
Standbild nicht beschädigt. Wir Männer sind doch verflucht eitel. Dieser
Bierröder hatte die gleiche Sorge.“
    „Wer?“
    „Helmut Bierröder. Ist
städtischer Angestellter. Inspektor, glaube ich. Beim Umweltamt.“
    „Ah, den kenne ich. Der hat
sich freiwillig gemeldet fürs Köpfen.“
    „Wofür?“, fragte Bachrippe und
hatte einen passenden Ersatzzahn ausgesucht, der denselben Gelbton hatte wie
Kovechlusers übrige Zähne.
    „Bierröder ist in den Parks und
Flussauen unterwegs und schlägt den Tauben die Köpfe ab.“
    „Ist ja widerlich!“
    „Ist ein abgesegneter
Beschluss. Schließlich müssen wir der Plage irgendwie Herr werden.“
    „Trotzdem scheußlich.“
    „Ist Bierröder dein Patient?“,
fragte Kovechluser.
    Der Zahnarzt nickte. „Heute ist
anscheinend der Tag der ausgebrochenen Zähne. Und dem Bierröder ist exakt das
Gleiche passiert wie dir. Auch unten rechts. Hat sich sauber den Zweier
rausgebrochen samt Wurzel. Hat auch einen Stiftzahn gekriegt. Hoffentlich hält
er.“
    „Und wieso hat Bierröder die
gleiche Sorge wie ich?“
    „Ihm wurde der Zahn
ausgeschlagen. Bei ‘ner Rauferei. Er sagte, er wäre daran nicht ganz
unschuldig, und bat mich, um Himmels willen nicht darüber zu reden. Also,
erzähl’s nicht weiter.“
    Kovechluser erwiderte nichts
und richtete den Blick seiner Fischaugen in das grelle Halogenlicht der Lampe.
Bachrippes Mondgesicht beugte sich über den Bauunternehmer und wirkte für eine
Sekunde bedrohlich — mit dem Mundschutz und der glitzernden Brille.
    „Bitte, öffnen!“, meinte der
Zahnarzt gewohnheitsmäßig. Und dann: „Sag’s, wenn was wehtut.“

     
    *
     
    Die Dämmerung war
fortgeschritten. Der Abend gewann die Oberhand. Fröstelwetter. Und die Reifen
der Bikes sangen Gummitöne auf dem Asphalt. Da war das Piepsen an
Computer-Karls Handy — das neuerdings zu seiner Ausrüstung gehört und von ihm
in

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