Mörderischer Stammbaum
Schluck Bier.
„Wir wollen sie besuchen“,
erklärte Gaby. „Wir gehören zum Tierschutzverein. Es geht um ein Problem.“
„Ich mag Tiere“, sagte Gertrude
und nahm noch einen Schluck.
„Sie wissen genau, dass sie zu
Hause ist?“, fragte Tim.
„Ganz genau.“
„Sie haben gehört, wie sie in
die Wohnung ging?“
„Das nicht.“
„Sondern?“
„Ich sah ihren Wagen. Vom
Fenster aus. Ich sah, wie Petra in die Tiefgarage fuhr.“
„Sie kennen ihren Wagen?“
„So genau wie meinen. Ich fahre
einen 15 Jahre alten Porsche.“
„Stark. Wann haben Sie Petras
Wagen gesehen?“
„Ungefähr vor... Moment! Da
hatte ich mir gerade die Nägel lackiert“, sie bemerkte Tims Blick auf ihre Finger
und fügte hinzu, „die Fußnägel. Die andern kommen morgen dran. Also, es ist
noch keine halbe Stunde her. Nein, weniger. 20 Minuten vielleicht.“
„Dass Petra in die Wohnung
ging, haben Sie nicht gehört?“
„Nein. Aber wenn ich den
Kopfhörer drauf habe, höre ich das sowieso nicht. Beim Zehenlackieren höre ich
am liebsten Mozart. Das ergänzt sich. Das passt zusammen. Nicht wahr?“
„Total!“ Tim nickte.
Er hatte nachgedacht. Petra war
also in die Tiefgarage gefahren, dann aber offensichtlich nicht in ihre Wohnung
gekommen. War die junge Frau noch unten? Bastelte sie an ihrem Wagen herum? Was
war passiert?
„Wir werden mal in der Garage
nachsehen“, sagte der TKKG-Häuptling. „Vielleicht wird dort unsere Hilfe
gebraucht. Vielen Dank für die Auskunft, Frau Dingelhof. Man kann mit dem Lift
bis ins Souterrain fahren, ja? Na, wunderbar! Dann Gute Nacht!“
Sie nickte freundlich und zog
sich zurück in ihre Wohnung.
Tim, Karl und Gaby besetzten
den Lift und fuhren ganz nach unten. Dort landeten sie in einem kahlen, kalten,
keller-typischen Vorraum. Eine Stahltür mit der Aufschrift ,Garage’ wies den
Weg.
Tim ging voran, blinzelte in
das schwache Dämmerlicht der Tiefgarage und blickte umher.
„Niemand da“, sagte Karl.
„Hm.“
„Hallo, Petra!“, rief Gaby.
Ihre Stimme hallte. Die Antwort
blieb aus.
„Suchen wir!“, meinte Tim.
„Ihren Wagen kennen wir ja-“
Sie gingen umher. Nahezu alle
Boxen waren besetzt. Bis auf wenige Ausnahmen waren also alle Hausbewohner in
ihren vier Wänden.
Gaby entdeckte Petras Wagen
zuerst. Er stand in der Box Nummer 27. Gaby probierte die Türen.
„Abgeschlossen. Sie hat
offenbar eingekauft. Die Tüten sind noch drin. Dann ist sie also weggegangen.
Zu einem Spaziergang? Kann ich mir nicht vorstellen. Das würde Petra nicht
machen. Nicht um diese Zeit. Die Straßen sind dunkel und verlassen. Da wäre
auch mir nicht geheuer.“
Tim hatte sich neben seine
Freundin gestellt und blickte in das kleine Fahrzeug. Er spürte eine seltsame
Spannung in sich, als wäre die Luft elektrisch geladen. Sein Instinkt
signalisierte das. Hier war was passiert. Ohne Zweifel!
Karl stand hinter dem
Kleinwagen und stützte sich auf den Kofferraum.
„Vielleicht ist sie irgendwo im
Haus in einer anderen Wohnung“, sagte Tim. „Bei Bekannten.“
Bevor Gaby antworten konnte,
rief Karl: „Heh! Was ist denn das? Hier bürstelt ja ein Fuchsschwanz übers
Nummernschild.“
Karl starrte den Kofferraum an.
Was Tim dort sah, stellte ihm die Nackenhaare auf. Fingerlang hingen aschblonde
Haarspitzen unter dem Kofferraumdeckel hervor.
„Leute! Das ist kein
Fuchsschwanz. Das sind Petras Haare. Ihre Haarspitzen! Eingeklemmt unterm
Deckel!“
Er versuchte den Kofferraum zu
öffnen. Aber der war verschlossen. Tim klopfte aufs Blech.
„Petra! Hallo! Sind Sie dort drin?“
Keine Antwort.
Tim spürte, wie es ihn eiskalt
überlief. Auch Gaby wurde fahl und ihre Lippen zitterten. In Karls entsetzter
Miene war die Befürchtung klar zu lesen: War Petra tot? Lag ihre Leiche im
Kofferraum?
Tim sprintete zurück in den
keller-typischen Vorraum. Dort in der Ecke hatte er massives Werkzeug gesehen,
offenbar abgestellt vom Hausmeister: schweres Nageleisen, Vorschlaghammer,
Handhebelfettpresse, mehrere Flachmeißel, Spaltkeil, Holzaxt und einen Satz
Stemmeisen.
Tim krallte sich, was er brauchte,
und begann dann wie ein Wahnsinniger, den Kofferraum zu demolieren. Denn das
Öffnen ging nicht ohne Zerstörung. Aber Tim gab höllisch acht, dass Petra — die
hier zweifellos eingeschlossen war — nichts abbekam.
Blech kreischte. Metall barst.
Tims Kraft war es zu verdanken, dass schon nach weniger als zwei Minuten das
Schloss seinen Geist aufgab. Noch ein Ruck mit dem Nageleisen —
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