Mörderisches Musical
Sonya lachte. Sie hatte ein
kehliges Lachen, wie man es selten hörte und das ansteckend wirkte.
Das Zimmer hatte eine an die sieben Meter hohe
Decke, einen Deckenventilator und wunderbare alte Stukkaturen. Kleine
Gymnastikgeräte — Bälle und Gewichte — lagen in jeder Ecke und auf dem Sims
eines Kamins, der so hoch wie Wetzon war. Zwei Übungsmatten standen
zusammengerollt hochkant in einer Ecke.
Wetzon hängte Mantel und Hut auf den frei
stehenden Garderobenständer neben Sonyas schwarzen Persianer und setzte sich
auf das niedrige gestreifte Sofa. Sie holte den Apfel und den Joghurt aus der
Papiertüte, legte den Apfel auf den Bambustisch neben sich und riß den
Joghurtbecher auf. »Ach, ich habe keinen Löffel mitgenommen.«
Sonya ging nach nebenan und kam mit einem
Plastiklöffel zurück, reichte ihn Wetzon und setzte sich ihr gegenüber auf
einen der zwei Bauhausstühle aus Metall und Leder. Sie betrachtete Wetzon eine
Weile. »Du hast die Haare abgeschnitten.«
Wetzons Finger flogen unwillkürlich zu der
winzigen Linie in der Kopfhaut. Sie zwang sich, die Finger dort wegzunehmen,
und tauchte den Löffel in den Joghurt.
»So...« begann Sonya nach einer Weile lächelnd.
»Möchtest du mir erzählen?«
»Es ist zu dumm.« Ihre Hände preßten den leeren
Joghurtbecher zusammen.
»Warum sagst du das?«
»Na ja, ist es nicht dumm, zu wissen, warum man
Angst hat, aber zugleich zu wissen, daß alles in Ordnung ist, jetzt, wo die
Gefahr vorbei ist? Man muß sein Leben weiter leben, nicht wahr?«
»Leslie.« Sonyas Stimme war weich, beinahe
hypnotisierend. Wetzon mußte sich anstrengen, um sie zu hören. Oder war es
möglich, daß sie sie nicht hören wollte? »Erzähle mir von der Gefahr«, drängte
sie. »Warum hast du Angst?«
Wetzon seufzte. Sie legte den zerdrückten Becher
auf den Tisch. »Letztes Jahr. Es ist letztes Jahr passiert.« Ihre Finger
berührten die winzige Narbe. Sie wollte weitersprechen und konnte nicht, weil
sie den Kloß im Hals spürte.
Sonya wartete. Wetzon starrte auf den
Bambustisch und die gelbe Schachtel mit Papiertüchern für Patienten, die
weinten. Sie würde bestimmt keine von denen sein. »Ich wurde angeschossen.
Hier.« Sie neigte den Kopf, um es Sonya zu zeigen. »Es war nichts weiter.«
»Angeschossen zu werden ist kaum >nichts
weiter«, Leslie. Wie ist es dazu gekommen? War es ein Unfall?«
»Jemand hat versucht, mich zu töten. Es ist
allerdings nichts passiert, Sonya. Ich hatte Glück. Ich kam darüber weg. Dann
fingen diese Träume an. Bevor es passierte, hatte ich oft die wunderschönsten
Träume. Smith behauptete, sie wären parapsychologisch.«
»Du bist noch im Headhunter-Geschäft?«
»Ja.«
»Erzähle weiter, Leslie.«
»Also zuerst hatte ich überhaupt keine Träume,
und dann ging es los, daß ich jede Stunde oder so aufgewacht bin, und danach
hat es mit dem Traum angefangen.«
»Erzähle mir davon. Ist es immer der gleiche?«
»Ja. Erst sehe ich ein Feuer blitzen und habe
Angst und kann mich nicht bewegen, dann der Geruch nach Pulver, dann ein
brennender Schmerz im Kopf, und ich wache in Schweiß gebadet und zitternd auf.
Ich habe gehört, es gibt sogar einen Namen dafür: posttraumatisches
Streßsyndrom.«
Sonyas Ausdruck blieb unverändert. »Wie lange
geht das nun schon?«
»Vier Monate.«
»Leslie...«
»Aber Sonya, bis Samstag nacht bin ich gut damit
zurechtgekommen.«
»Was hat sich geändert?«
»Ich bin zur Generalprobe von Hotshot gegangen — Carlos’ neues Musical. Sie bauen jetzt, während wir hier sprechen,
in Boston auf. Als wir ins Theater kamen, fanden wir Dilla Crosby. Sie war
erschlagen worden.« Sie erzählte Sonya, wie sie Dilla gefunden hatten und was
unmittelbar danach passiert war.
»Die meisten von diesen Leuten kenne ich«, sagte
Sonya, als Wetzon fertig war.
»Hast du Dilla gekannt?«
»Flüchtig. Wir waren vor einer Ewigkeit einmal
im selben Jazzkurs. Wie hat es auf dich gewirkt, als Dilla gefunden wurde?«
»Ich war aufgeregt, aber so wie jeder, wenn er
eine Leiche finden würde, und ich habe Dilla nicht gemocht und hatte sie seit
Jahren nicht gesehen. Aber dann, Sonya, hatte ich den Traum in der Nacht und
wachte mit scheußlichen Schmerzen in der Brust auf. Ich konnte nicht atmen. Ich
konnte nicht einmal stehen. Und Schweißausbrüche und Schüttelfrost und
furchtbare Angst. Ich dachte, ich würde sterben. Ich dachte, es kämen Leute,
die mich töten würden. Es war verrückt. Wenn Silvestri nicht angerufen
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