Mörderisches Musical
wiederkommen und mit mir reden,
nächste Woche um dieselbe Zeit?«
»Oh. Du möchtest mich wiedersehen? Ich dachte,
einmal wäre genug.«
»Leslie, es ist mir ernst. Das alles geht nicht
über Nacht weg, nur weil du es einer Therapeutin erzählt hast. Möchtest du dir
selbst helfen oder nicht?«
»Hm, okay. Wenn du meinst. Ich möchte nicht, daß
sich Samstag nacht wiederholt.«
»Gut. Dann sehen wir uns nächste Woche?«
Wetzon stand auf. »Danke, Sonya.« Die fünfzig
Minuten waren schneller vergangen, als sie gedacht hätte. Sie schlüpfte in den
Mantel und steckte den ungegessenen Apfel in die Tasche. Sonya stand an der
Tür, um sie zu verabschieden. Wetzon fragte: »Bin ich deine letzte Patientin?«
Sonya nickte; eine leichte Röte färbte ihre
Wangen.
»Also dann gute Nacht.«
Wetzon ging die Treppe mit einem Gefühl
hinunter, als wäre ihr eine kleine Last von den Schultern genommen, doch sie
konnte nicht sagen, warum. Sie dachte wieder über ihr Leben nach und ging dabei
ziemlich kritisch mit sich ins Gericht, deshalb sah sie den Mann nicht gleich.
Sie ging aus der Haustür und fiel beinahe über ihn. Er saß auf der steinernen
Balustrade und rauchte. Alles, was man sehen konnte, war der winzige leuchtende
Punkt seiner Zigarette in der Dunkelheit. Als er sie sah, stand er auf, stand
drohend über ihr, drängte sie gegen die Tür zurück.
Die
Tür gab ihrem Gewicht nach und schwang nach innen, so daß Wetzon unsanft
auf den Boden fiel. Sie landete nicht eben graziös auf dem Hinterteil.
»Na so was«, hörte sie einen Mann sagen. »Tut
mir leid, daß ich Sie erschreckt habe.« Er reichte ihr die Hand und half ihr
auf und wieder nach draußen, dann hob er ihre Aktentasche auf. Verlegen zog sie
ihre Kleidung gerade und bemerkte, daß sie ihre Handtasche krampfhaft
umklammerte.
»Alles in Ordnung? Sie haben mich wohl nicht
hier sitzen sehen.«
Wetzon sah in dem trüben Licht zu ihm hoch.
Ziemlich hoch. Er hatte ein freundliches Lächeln, gelbliche Zähne unter einem
drahtigen Schnäuzer, tiefe Falten um die Augen. Er schnickte seine
Zigarettenkippe auf die Straße und blickte stirnrunzelnd auf sie hinunter.
»O’Melvany«, sagte Wetzon.
Er blinzelte, dann schnalzte er mit den Fingern.
»Na klar, Silvestri«, rief O’Melvany. Er erinnerte sich nicht an ihren Namen.
»Leslie Wetzon.«
»Klar«, sagte er und zeigte mit dem Finger auf
sie. Eddie O’Melvany war Detective beim Neunzehnten Revier und einer von
Silvestris gelegentlichen Pokerkumpanen. Wetzon hatte ihn vor dreijahren
kennengelernt, als die Schulfreundin ihrer Freundin Hazel ermordet worden war.
Seitdem hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Was zum Teufel machte er hier?
»Ich habe Sie nicht gesehen«, sagte Wetzon. »Und
dabei werfen Sie einen langen Schatten. Sind Sie jetzt beim Zwanzigsten?« Das
Zwanzigste war ihr Revier und umfaßte wahrscheinlich auch die 73. Street.
»Nee. Immer noch beim Eins-Neun.« Er zündete
eine neue Zigarette an, und das Licht leuchtete auf seinen gelblichen
Schnauzer. »Ah, da kommt sie.« Er strahlte und blickte an ihr vorbei.
Wetzon wandte sich um. Sonya hatte gerade die
Innentür aufgemacht.
»Ihr beide braucht nicht vorgestellt zu werden,
oder?« Sonya sprach ganz ruhig, doch Wetzon bemerkte ihre Nervosität.
Wetzon grinste. »Wirklich nicht. Es war nett,
Sie zu treffen, Detective O’Melvany. Gute Nacht.« Sie sprang praktisch die
Treppe hinunter und hinüber zum Broadway. Was für eine Überraschung. Wie lange
das schon gehen mochte? Silvestri hatte sie zum Neunzehnten gebracht, um mit
O’Melvany über den Mord an Peepsie Cunningham zu sprechen. O’Melvany hatte an
jenem Tag eine scheußliche Laune gehabt, weil er unter einem Hexenschuß litt
und der Schneesturm seine Detective-Truppe dezimiert hatte. Wetzon hatte
O’Melvany Sonyas Karte überreicht und ihm vorgeschlagen, Sonyas bioenergetische
Therapie zu probieren.
Sie fand es so komisch, daß sie noch auf dem
Broadway grinsen mußte. Ob Silvestri es wußte?
Bei Ollie’s in der 84. Street kaufte sie
eine Portion Minestrone. Sie hatte noch Reste zu knabbern, und mit ein bißchen
Glück würde sie die Nacht vielleicht durchschlafen können.
Ein Mann mit schütterem Haar, in schmutziger
Daunenjacke, zerrissener Hose und Schuhen ohne Riemen und ohne Socken, kam an
der Ecke 86. und Amsterdam auf sie zu und schüttelte einen Pappbecher vor ihr,
so daß sie Münzen klappern hörte. »Ich brauche hundertfünfzigtausend für die
Anzahlung einer
Weitere Kostenlose Bücher