Mörderisches Musical
hämmerndem
Herzen.
Ihre Digitaluhr zeigte 3:35 an.
»Es ist alles in Ordnung, alles in Ordnung«,
redete sie sich laut ein. »Es ist ein Traum. Setze dich damit auseinander. Du
brauchst Silvestri nicht. Du brauchst überhaupt keinen Menschen.« Sie beruhigte
sich, und kalter Schweiß ließ sie sogar unter der Steppdecke frösteln.
Als sie endlich nicht mehr zitterte, stand sie
auf, schlüpfte in den Bademantel und tappte über den Flur in die Küche. Dort
bereitete sie sich eine Tasse heiße Schokolade aus In-stantkakao und
Magermilch. In sehnsüchtiger Erinnerung an mütterliche Fürsorge kehrte sie ins
Schlafzimmer zurück. Sie trank ein paar kleine Schlucke, dann stellte sie den
Becher auf den alten Waschständer neben dem Bett und legte sich wieder hin.
Noch ein Schluck Kakao. Das Gähnen überraschte sie; sie ließ sich in das Kissen
sinken.
Der Radiowecker weckte sie um halb sieben.
Ungefähr ein Drittel der Schokolade war noch im Becher, und die Nachttischlampe
brannte. Aber sie hatte die Nacht einigermaßen gut überstanden. Nur auf sich
gestellt.
Zur Belohnung machte Wetzon auf dem Weg ins Büro
bei Mangia in der 48. Street halt und kaufte ein Vollkornbrötchen zum
Frühstück und ein Sandwich mit Mozzarella und sonnengereiften Tomaten zum
Mittagessen.
Sie straffte die Schultern und schritt
zielstrebig auf der 49. Street nach Osten auf ihr Büro zu. Der Fetzen einer
Melodie aus einem Song, den Gwen Verdon in New Girl in Town gesungen
hatte, ging ihr nicht aus dem Kopf. »It’s good to be alive«, summte Wetzon. Ihr
kam eine junge Frau in einem glänzenden schwarzen Regenmantel mit gelbem
Flanellbesatz und gelben Gummistiefeln entgegen. Ein Golden Retriever an einer
langen Ausziehleine sprang einige Schritte vor ihr her. Wetzon war gerade
stehengeblieben, um den freundlichen Hund zu streicheln, als sie einen
schrecklichen Schrei hörte. Das Gesicht der Hundebesitzerin war zur Grimasse
verzerrt. Wetzon trat sofort zwischen einem schwarzen BMW und einem roten Kombi
in den Rinnstein, um auf die andere Seite zu gehen.
»Wissen Sie, wie viele Tiere verbluten mußten,
damit Sie diesen Mantel tragen können?« schrie die junge Frau sie an. Der
Golden Retriever begann zu bellen und rannte zu seiner Besitzerin zurück.
Wütend ging Wetzon auf den Bürgersteig zurück.
»Wissen Sie, was Ihre kostbaren Synthetics unserer Ozonschicht angetan haben?«
erwiderte sie. »Sehen Sie sich an und weinen Sie. Sie sind eine wandelnde
Reklame für Ozonvernichtung.«
Die Frau wirkte verdutzt, was Wetzon genügte.
Sie hatte sie restlos satt, die modischen Reichen, die sich zu Richtern
aufschwangen und Fleischesser und Pelzträger verurteilten, wo es hungernde
Kinder gab und man überall problemlos Waffen kaufen konnte.
Fröhlich winkte Wetzon Steve Sondheim zu, der
gerade aus seinem Haus kam.
Alles in allem, dachte sie, als sie die Second
Avenue zu ihrem Büro überquerte, ein sehr guter Anfang für den Tag.
»Rich McMartin sitzt bei SMQ«, verkündete Max,
als Wetzon hereinkam. Köstlicher Kaffeeduft füllte das Büro.
»Das ist mal eine Nachricht, wie sie mir
gefällt.«
»Was dagegen, Max?« Smith erschien in der Tür.
Ihre Augen funkelten Max warnend an. »Es ist nicht deine Aufgabe, über
Einstellungen zu berichten«, sagte sie streng.
Wetzon drohte Smith mit dem Finger. Verstohlen
formte sie mit den Lippen, bitte nicht.
Smith achtete nicht darauf. »Wir werden ein paar
Wochen warten müssen, bis seine Zulassung überprüft ist, bevor wir die Rechnung
schreiben.«
»Wirklich? Warum? Rich hat gesagt, daß er sauber
ist.«
»Eine kleine Computeranfrage hat drei Defekte
auf seiner Registration an den Tag gebracht.«
»Verdammt. Was für Defekte?« Wetzon hängte ihren
Mantel auf und goß sich einen Becher Kaffee ein.
»Geringfügige Sachen — wie unbefugter
Wertpapierhandel. Rügen, aber keine Gerichtsverfahren.«
»Unbefugter Wertpapierhandel ist eine
geringfügige Sache?« Max war entsetzt. Er war in seinem früheren Leben ein
pedantischer Buchhalter gewesen.
»Glaub mir, Mäxchen.« Smith gab ihm einen
gönnerhaften Klaps auf die hängenden Schultern. »In einer Welt, wo es
Geldwäsche und Insidergeschäfte gibt, ist ein bißchen unbefugter
Wertpapierhandel ein geringfügiges Vergehen. Besonders, wenn niemand klagt.«
Max runzelte die Stirn. Er trug ein
blaugestreiftes Hemd mit weißem Kragen und weißen Manschetten und eine
knallrote Fliege. Als er die Stirn in Falten zog, hüpfte seine Fliege auf
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