Mörderspiel
Ihre Romane wirkten finster und beängstigend, aber mehr durch die psychologisch dichte Atmosphäre denn durch plakative Darstellungen von Gewalt, und warfen immer ein bezeichnendes Licht auf die menschliche Natur. Sie war sehr schlank, groß, mit silbernem Haar und einer graziösen Haltung. Sie war eine beeindruckende Frau und würde es zweifellos bis zu ihrem Todestag bleiben.
Sabrina hatte sie gleich zu Beginn der eigenen Karriere kennen gelernt, bei einer Autogrammstunde, die mehrere Autoren gemeinsam gaben. V.J. hatte ihr versichert, das Schönste an solchen gemeinsamen Autogrammstunden sei, dass man immer jemand zum Reden habe, auch wenn niemand vorbeikomme, ein Buch zu kaufen.
„Meine Liebe, stell den Leuten einfach ein Bein, wenn sie vorbeigehen wollen“, hatte sie ihr geraten. „Wenn die glauben, dass wir nur hinter den Tischen voller Bücher sitzen, damit wir ihnen den Weg zur Damentoilette weisen, stelle ihnen ein Bein! Danach entschuldigt man sich überschwänglich, und schon haben wir sie beim Wickel!“ V.J. war großartig gewesen. Seinerzeit schon sehr populär, hatte sie ihre Fans überzeugt, sie müssten unbedingt auch Sabrinas Buch kaufen. Sabrina war ihr bis heute dankbar dafür.
„V.J.!“ rief sie erfreut und näherte sich ihrer Freundin am Buffet, die bei den Kaviar-Crackern offenbar abwog, ob sie zugreifen sollte oder nicht.
„Sabrina, meine Liebe!“ V. J. drehte sich um, lächelte und umarmte sie herzlich. „Ich wollte schon anrufen, um mich zu vergewissern, dass du auch kommst. Ich habe es sehr bedauert, dass du das letzte Mal nicht dabei warst, auch wenn es damals zu dieser Tragödie kam. Ich komme gerade von einer Kreuzfahrt auf dem Nil zurück. Weißt du noch, dass ich dir von meinen Plänen erzählt habe?“
„Ja, und ich freue mich, dass du sie verwirklichen konntest. Wie war’s?“
„Wunderbar. Anregend. Ehrfurcht gebietend. Man spürte den Hauch der Geschichte. Das geht einem unter die Haut. Und ich liebe einfach schöne alte Mumien.“
„Ich habe auch nichts gegen schöne Mamis einzuwenden“, mischte sich Brett ein, der sich offenbar verhört hatte, legte Sabrina einen Arm um die Schultern und lächelte V.J. an. „Mamis sind heutzutage genauso aufregend wie unschuldige Mädchen. Schön, dich zu sehen, V.J. Du siehst fantastisch aus, sexy wie immer. Du bist eine großartige Mami.“
„Meine Kinder sind längst erwachsen“, erinnerte V.J. ihn. „Außerdem reden wir von Mumien, mein Junge, von Mumien, nicht von Mamis. Aber einem unverbesserlichen Schürzenjäger wie dir wären wohl sogar tote Frauen recht. Wie geht’s dir, Brett? Ein Kuss wird akzeptiert, aber nur auf die Wange. Und hör auf, Sabrina zu belästigen. Das Mädchen hatte Verstand genug, deine Exfrau zu werden. Und wenn der richtige Mann für sie da draußen herumläuft, wollen wir doch nicht, dass er sich durch deine törichten Annäherungsversuche abschrecken lässt.“
Brett ließ Sabrina lachend los und küsste V.J. gut gelaunt auf die Wange.
„Ich bin der richtige Mann, V.J.“, beteuerte er wehleidig. „Ich habe mich nur einmal schlecht benommen, und sie verzeiht mir einfach nicht.“
„Mein Junge, ich bin zwar kein Eheberater, aber ich nehme doch an, dass da etwas mehr dahinter steckte. Dennoch…“ Sie prostete ihm lächelnd mit dem Champagnerglas zu. „Gratulation. Wie ich höre, stehst du auf der Liste nur einen Platz unter Creighton.“
Brett neigte in demütigem Dank leicht den Kopf. „Danke, danke. Warum musste Creighton auch unbedingt im selben Monat ein neues Buch rausbringen wie ich? Ich hätte vielleicht die Nummer eins geschafft.“
„Es gibt immer ein nächstes Mal.“
„Wie wahr. Und da wir hier so eine feine Versammlung von Autoren des Mystery-, Spannungs- und Horror-Genres haben, müsste es uns doch gelingen, die Konkurrenz wegzustoßen. Was meinst du?“
„Ich meine, dass es angesichts unseres Aufenthaltsortes von schlechtem Geschmack zeugt, von wegstoßen zu reden“, stellte eine Männerstimme leise fest, und Joe Johnston trat in ihren Kreis. Joe Johnston hätte ein Zwilling von Ernest Hemingway sein können, ein gut aussehender Mann mit buschigem Bart und freundlichem Wesen. Er schrieb eine Serie über einen ziemlich heruntergekommenen, charmanten und faulen Privatermittler, der trotz allem jeden seiner Fälle löste. Joe stieß zur Begrüßung mit Sabrina an und fuhr fort: „Ich meine, wer glaubt denn wirklich, dass Cassandra sich selbst vom Balkon
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