Mörikes Schlüsselbein
ein kurzes Gedicht in Ihre Sprache übertragen. Darf ich es Ihnen vorlesen?« Er sah John mit den Augen eines scheuen Studenten an, der seine erste Semesterarbeit abgibt:
Du kannst die Sonne, die aufgeht,
nicht daran hindern,
kannst du?
Du kannst die Liebe, die beginnt,
nicht bremsen,
kannst du?
Du kannst die Sonne, die untergeht,
nicht halten,
kannst du?
Du kannst die Liebe, die endet,
nicht verlängern,
kannst du?
John lobte höflich das Englische des Sprachkundigen und fragte:
»Auch Glück?«
»Auch Glück, ist es auf der Welt, wird auf der Welt bleiben und weiter wandern«, sagte der Sprachkundige.
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Sie gingen einen Bergbach entlang, dessen Stromschnellen viel zu steil waren, als dass er mit einem Kanu befahrbar gewesen wäre. Zwei Männer trugen das Kanu wie eine Bahre. Beide Sprachkundigen begleiteten sie (haben sie begleitet): bis zu einem Tunnel, in dem der Fluss verschwand. Die Schnellen hörten hier auf. Das Wasser war staubfarben. Die Sprachkundigen erklärten, dass John und der Russe auf dem Kanu in den Tunnel mussten, «auf der anderen Seite müssen Sie ans Ufer und dann einen Pfad nach oben nehmen, zu einem Pass. Von dort aus werden Sie sich Ihre Wege aussuchen können. Good luck!«, sagte der eine und flüsterte noch dazu: Sie ist meine Braut, ich werde wahrscheinlich Ihr Kind großziehen / »Viel Glück!«, sagte der andere.
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Eine seiner ersten Erinnerungen war ein Sommergrün, ein Park und ein roter Spielzeugdampfer. Ein Bach unter einer Betonbrücke, die zu breit war, um Brücke genannt zu werden, eher eine Art Tunnel. Seine Mutter forderte ihn auf, den Dampfer aufs Wasser zu setzen, unter die Brücke gleiten zu lassen und ihn am Ausgang des Tunnels zu fangen. Ihm war das Risiko zu groß, der neue Dampfer könnte im modrigen Dunkel unter der Brücke stecken bleiben. Die Mutter lachte: »Was bist du für ein Geizhals! Ich kauf dir einen neuen.« John sah darin einen Verrat an der Geborgenheit, die man von der eigenen Familie erwarten durfte. Die Mutter war sehr jung, sie wollte selbst noch spielen: »Bist du aber ein Angsthase, mein Angsthäschen, Johnny.« Hier brach die Erinnerung ab. Er wusste weder, ob er den Dampfer aufs Wasser gesetzt hatte, noch ob er dann an der anderen Seite auftauchte. War das deshalb bis jetzt in seinem Gedächtnis geblieben, weil er nun selbst zu einem Spielzeugdampfer in einem schwarzen Tunnel werden musste, ohne zu wissen, ob er je zum Ausgang gelangen würde?
»Jetzt weiß ich’s!« Das war die Stimme des Russen im modrigen Dunkel. »Ich hab’s! Das ist eine Sekte, die an die Zeitmaschine glaubt. Sie bauen eine Zeitmaschine. Nicht alle sind eingeweiht, nur die Elite. Sie wollen die Zeit zurück verfolgen, Schritt für Schritt, eine Stufe nach der anderen, wie man eine Treppe hinunter läuft (oder hinauf, die Zeit ist so eine Sache, man kann’s nie wissen, wenn man ihr Vektor-Eigenschaften aufzwingt), bis zu dem kritischen Punkt, an dem die Götter die Welt verlassen haben. Oder – von mir aus – Gott die Welt verlassen hat. Sie wollen das rückgängig machen. Sie spinnen natürlich. Aber ich habe jetzt alles zusammengedacht und begriffen!«
»Wo hast du melken gelernt?«, fragte John.
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ZEPPELINE ÜBER PARIS/FRANZISKA (FAST)OHNE ADJEKTIVE/AUSFLUG IN DIE HÖLLE/VERLIEBTE AUGEN
ZEPPELINE ÜBER PARIS / FRANZISKA (FAST) OHNE ADJEKTIVE / AUSFLUG IN DIE HÖLLE / VERLIEBTE AUGEN
Moritz war der einzige in der Familie, der wusste, dass Franziska gestern Nacht nicht in ihrer alten WG und nicht in der WG ihres Freundes war. Er hatte sie nirgendwo erreichen können, als er ihr von der Englischlehrerin Frau Flink erzählen wollte, wie sie der Klasse beteuert hatte, sie verbreite auf keinen Fall die Gerüchte über Kunst- und Sportlehrer Herrn Meyer-Drossel und Anja Fleißig, die in Franziskas Jahrgang Abitur gemacht hatte. Er wollte mit Franziska über die neue Frau-Flink-Geschichte lachen, wie sie früher gelacht hatten ( in den guten alten Zeiten , in denen er oft ihren Launen ausgeliefert gewesen war, sich aber nie so einsam gefühlt hatte wie jetzt). Zu Hause (also hier, wo sie gelegentlich übernachtete) war sie auch nicht. Und ihr Handy war aus.
Von Franziskas Abwesenheit konnte er keinem erzählen. Mutter und Frank nicht, weil sie immer sofort in Panik gerieten und dann, wenn sich das Kind (Moritz bzw. Franziska) endlich meldete, so viel Theater machten, dass man am liebsten wieder verschwinden würde, am liebsten für immer. Dem
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