Möwenfluch (Vloek op Meeuwen) (Möwennest) (German Edition)
achtzehnten Jahrhundert. Sehen sie hier, das ist die Truhe.“ Er schob ihr eine Handvoll Bilder zu. Inga nahm die Aufnahmen in die Hand und betrachte sie, obwohl das eigentlich nicht notwendig war. Das Material bestätigte nur, ihre Befürchtungen. Auf den in DinA4-Format entwickelten Fotos war unter der seichten Wasseroberfläche ein eckiger, schwarzer Gegenstand zu erkennen, der halb aus dem Sand herausragte. Das Holz machte einen uralten Eindruck und war an unzähligen Stellen übersät mit kleinen Muschelkolonien. Dort wo die große Truhe im Meeresboden verschwand, erkannte man gerade noch eine aufgenagelte gusseiserne Platte mit einem Schlitz in der Mitte, an dem oberhalb und unterhalb zwei Auswölbungen mit einem rostigen Vorhängeschloss zusammengekettet worden waren. Die Platte glänzte schwarz. Sie war wie neu und schien irgendwelche Gravuren zu enthalten. Die Fotos waren nicht gut genug, um Genaueres zu erkennen.
Inga legte die Fotos beiseite.
„Das ist keine Schatztruhe, Ari“, sagte sie langsam. Der Angesprochene lächelte.
„Das habe ich mir auch gedacht und das hat mich auf die Idee gebracht, einige Nachforschungen anzustellen. Ich kenne ein paar sehr versierte Leute in Sachen niederländische Historie. Nach einigen Telefonaten mit einem Professor und einem Dozenten der geschichtlichen Fakultät der Erasmus- Universiteit Rotterdam hat man mich hierhin verwiesen. Wenn es Dokumente aus dieser Zeit gäbe, versicherte man mir, dann hier. Seit gestern Mittag durchforste ich das Material. Es ist leider alles grausam ungeordnet hier und das kostet natürlich Zeit. Seitdem habe ich nichts gegessen und nur wenig getrunken. Um ehrlich zu sein, bin ich auch etwas schläfrig geworden …“
Er legte eine Pause ein, um Luft zu holen, bevor er seinen Vortrag mit einem lang gezogenen „Aber“, fortsetzte. „Die Arbeit war nicht umsonst. Ich habe vier sehr interessante Dokumente gefunden. Zwei stammen aus dem Jahr 1752, eines ist auf ein Jahr früher datiert und das Letzte stammt von 1952.“
Er blätterte sich durch die kleinen Dokumentenberge, die er auf dem Tisch aufgetürmt hatte und fand schließlich, wonach er suchte.
„Das hier ist die handschriftliche Vollzugsmeldung zur Exekution einer Frau. Die Hinrichtung ist datiert auf den 13. Oktober 1752. Der Name der Exekutierten war …“
„Margareta van Buuren “, flüsterte Inga bitter. Ari stutzte.
„Äh, ja genau. Sie ist wegen diverser schändlicher Vergehen angeklagt und für schuldig befunden worden. Zur Strafe entfernte man ihr beide Hände und führte anschließend den Tod durch Ertrinken herbei. Ein vor der Hinrichtung extra hinzugezogener Arzt des Tollhauses in Breda bestätigte, dass sie eine entflohene Insassin seiner Anstalt war und dass van Buuren einen Hang zum dämonischen Treiben und zur absolut durchtrieben Boshaftigkeit besessen haben soll. Der Priester, der ihr die letzte Beichte abzunehmen bereit war, bezeichnete sie als vom Teufel besessene Hexe. Van Buuren will ihm kurz vor ihrem Tod anvertraut haben, dass sie in Middelburg und Umgebung mehrere Kinder von zu Hause fortgelockt und auf bestialische Weise umgebracht hat. Er verlor, dieser Tagebuchaufzeichnung vom 15. Oktober desselben Jahres zufolge, bei der Ausübung seiner Pflicht ein Auge und trug schwere Gesichtsverletzungen davon. Der Tagebucheintrag stammt von einem Mann namens Joos Slag . Ich habe herausgefunden, dass er damals verantwortlich war, für das Treiben auf der Insel der Toten , wie er sie selbst nannte. Muss eine Art Vorsteher gewesen sein. Steht alles hier drin.“
Ari reichte ihr ein in abgewetztes und ausgebleichtes Leder gebundenes Büchlein. Inga schaute nicht hinein, sie wusste sehr genau, was darin stand und schob es zurück. Er nahm es in beide Hände und blätterte darin.
„Dieser Joos Slag schreibt einige Seiten später, noch Folgendes:
Wir taten die Hexe in die Wassertruhe, und obwohl sie ihrer Hände nicht mehr habhaft ward, wehrete sie sich mit einiger Kraft. Der Teufel persönlich muss ihr beigestanden haben, denn es waren einschließlich mir fünf Mannen notwendig, um das schändliche Weib in die Kiste von heiligem unzerstörbarem Holz zu sperren. Nach dem neunten Glockenschlag ließen wir sie an der Südseite ins Wasser hinab. Das Weib schrie und fluchte und lockte alsbald eine Schar von Möwen an, während die Flut kam und das Wasser langsam stieg. Jede Hülfe war für diese vermaledeite Seele zu spät. Zum zwölften Glockenschlag
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