Möwennest-Reihe Gesamtband (German Edition)
Scheinwerferlicht.
Renn weg ! Renn endlich weg, du dumme Kuh , schoss es durch ihren Kopf. Die Beine gehorchten nicht. Abermals ein Knacken, dann ein lautes Rascheln. Es war mittlerweile so nahe, dass sie seine Blicke beinahe auf ihrem Körper spüren konnte. Sicher war er dort. Sicher hatte er sie entdeckt. Sicher war sie gleich tot.
Das ist dein Ende , dachte sie.
Aus der Dunkelheit sprang etwas genau auf sie zu.
Als sie das schwarze Etwas heranfliegen sah, riss sie schützend die Arme hoch.
Ein greller Schrei, ein Stich in Monicas Unterarm. Schmerzen. Sie fiel in den Sand.
Erneut ein Kreischen. Der markerschütternde Ruf eines Vogels. Er krallte sich an ihren Unterarm, nahm den Kopf nach hinten und stieß ihn wuchtig in ihre Richtung. Geistesgegenwärtig wich sie aus. Der spitze Schnabel verfehlte ihre Augen um Zentimeter. Das Tier gab nicht auf, spannte die Flügel und griff an.
Rasend v or Panik versuchte Monica es abzuschütteln, doch seine Klauen hatten sich fest in ihr Fleisch gekrallt.
Wieder stieß der Vogel zu. W ieder daneben. Diesmal bekam Monica ihn mit der freien Hand am Hals zu packen. Sie riss das Tier hinunter auf den Boden und spürte, wie sich die Krallen lockerten. Ganz ließen sie nicht von ihr ab. Also ruckte Monica nochmals und drückte den Vogel tiefer in den Sand. Blut quoll aus den Einschnitten, die die messerscharfen Krallen geschlagen hatten. Monica spürte, wie das Tier wütend zwischen ihren verkrampften Fingern zappelte, krächzte und mit den Flügeln schlug. Auf die törichte Idee, es loszulassen, kam sie nicht. Was immer den Vogel dazu getrieben hatte, anzugreifen, es war noch nicht vorüber.
Ein letztes Mal bäumte sich das Tier in Raserei auf. W oher es die enormen Kräfte dazu nahm, entzog sich Monicas Vorstellungskraft. Darauf kam es auch nicht an. Sie hielt einfach weiter dagegen, fürchtete kurz den Zugriff zu verlieren, gewann ihn zurück und zwang den Kopf in den Sand.
Sie ließ nicht los, bis der Flügelschlag erlahmte, das Kreischen verstummte und endlich jede Bewegung des gefiederten Körpers erstarb.
Schlussendlich, als sie sicher sein konnte, dass der Vogel tot war, befreite sie ihren Unterarm aus dessen Umklammerung und sank zurück.
Erst jetzt bemerkte sie, dass sie am Schreien, am Lachen und gleichzeitig am Weinen war. In einem Anflug von Wut, entsetzt und völlig verstört, schleuderte sie die schwarze Möwe in die Dunkelheit. Das tote Tier landete irgendwo zwischen den Büschen, aus denen es gekommen war. Monicas Körper zitterte bis in den letzten Muskel und der Schock verursachte Übelkeit.
Lange saß Monica nach dem Angriff einfach dort, unfähig etwas zu tun. Sie lebte, das war die einzige positive Erkenntnis, die sie ihrer Situation abgewinnen konnte. Er war nicht gekommen, d afür ein wild gewordener Vogel mit Mordabsichten.
Monica achtete auf das versiegende Blutrinnsal, das warm über ihren Unterarm bis zu den Fingerspitzen floss und von dort in den Sand tropfte, bemerkte die Kälte kaum, die vom Wind ausging und ihr Gänsehaut bereitete.
Der Schock saß tief, obwohl sie schnell eine vermeintliche Erklärung für die Attacke gefunden hatte. Der Vogel hatte vermutlich nur sein Revier verteidigt oder seine Brutstelle. Jetzt war er tot und das wiederum tat ihr irgendwie leid. Sie hatte sich in Todesangst gewehrt und …
„Himmel! Was für eine Nacht.“
Monica wurde abrupt klar, dass sie nicht länger bleiben konnte. Sie wollte einfach von hier weg. Womöglich lauerten weitere brütende Möwen in der Nähe. Mühsam raffte sie sich auf, ignorierte die Schmerzen (so gut es ging) und schleppte sich die Düne hinauf.
Es gelang ihr, aus der Senke auf die Anhöhe zu krabbeln. Von dort aus lag nur noch leicht wellige und vor allem sandige Landschaft zwischen ihr und der Straße, die zweifellos irgendwo auf sie wartete. Sie versuchte sich daran zu erinnern, aus welcher Richtung sie und der Kerl vorhin gekommen waren und entschied sich dann für den direkten Weg fort von der Stelle, an der sie die bislang bittersten Momente ihres Lebens durchlitten hatte.
Fast erschossen worden und von einem wahnsinnigen Vogel angegriffen! Das glaubt einem kein Mensch. Das kann man doch keinem erzählen!
Sie humpelte los. Ihr Ziel war es erst einmal, die Straße zu erreichen. Das Übrige würde sich schon daraus ergeben, hoffte sie.
Dünengras und Muschelsplitter bohrten sich in Monicas nackte Füße. Sie biss die Zähne zusammen und ließ sich nicht davon
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